Das Schwert der Keltin
des hinter Valerius sitzenden Sklavenjungen an Cunomars Oberschenkel streiften. Das Beben der Angst übertrug sich somit vom einen auf den anderen und zerstörte die Ruhe des Meeres.
Von links fragte Cygfa: »Warnen dich deine Geister bereits vor dem Tod, Römer?«
Wie ein schlechter Schauspieler rollte Valerius scheinbar entsetzt die Augen und entgegnete: »Warum fragst du sie nicht einfach?«
»Mit mir sprechen sie nicht.«
»Nein, natürlich nicht.« Der Dekurio starrte in die sie umgebende Dunkelheit. »Im Moment warnen sie mich noch vor gar nichts. Und mein Gott verspricht mir sogar den Sieg.«
»Bedeutet schon ein bloßes Überleben für dich den Sieg?«
Valerius lachte laut auf, und der Alkoholpegel in seinem Blut ließ das Gelächter alles andere als beherrscht klingen. Es kostete ihn einige Anstrengung, sich wieder zusammenzureißen. Dann entgegnete er: »Kriegerin, du hast einfach schon zu viel Zeit auf Mona verbracht und den Sprüchen der Ältesten gelauscht. Aber, ja, zu jedem anderen Zeitpunkt als diesem wäre schon mein bloßes Überleben Erfolg genug. Nur heute Nacht müssen auch noch dein Leben und das deiner Familie gerettet werden, damit man es einen Sieg nennen könnte.«
»Und das willst du mit Hilfe des Weins erreichen?«
»Das werde ich durch welche Mittel auch immer gerade zur Hand sind erreichen.« Lächelnd hob der Dekurio wieder des Gefäßes. Hinter dem Hals des Kruges blitzten seine schwarzen Augen, erfüllt von Zorn und einem unergründlichen Schmerz. Jetzt, als er dies sah, begriff Cunomar, dass Valerius so ziemlich jede beliebige Menge an Wein trinken könnte und doch niemals anders als stocknüchtern wirken würde.
Das Dämmerlicht ging allmählich in Dunkelheit über. Die Sonne riss indigoblaue Löcher in die Wolken und umrahmte sie mit wahrem Feuerglanz. Langsam näherten sich die Flüchtlinge dem Schiff. Als sie eine bestimmte Stelle passierten, legte Luain mac Calma die Hände um den Mund und ließ den Schrei der jagenden Eule erklingen. Der Schrei war gut imitiert, aber er hätte ebenso gut auch gleich einfach brüllen können, denn nur ein Mensch, der in der Stadt geboren und aufgewachsen war, würde noch glauben, dass eine Eule über dem Meer auf Jagd ging, und Cunomar glaubte nicht, dass Marullus, der Zenturio, der sie verfolgte, ein solch dümmlicher Stadtmensch war.
Auf dem Schiff jedoch war das Signal gehört worden und wurde sogleich beantwortet. Nun war auch der letzte Anschein des Verborgenseins dahin. Im Halbdunkel wurden jetzt Lampen entzündet und warfen eine Kette von tanzenden Lichtern über das Meer. Eines, das heller brannte als der Rest, begann sich langsam und in unregelmäßigem Tempo ins Takelwerk hinaufzubewegen, wurde also offenbar von jemandem gehalten, der nur mit einer Hand kletterte und dabei sehr vorsichtig vorging. Als das Licht auf halber Höhe angelangt war, begann es rhythmisch von einer Seite zur anderen zu schwingen. Auf dieses Signal hin legte ein Skiff von der Seite des Schiffes ab. Es sah zwar nicht groß genug aus, um fünf Erwachsene, zwei Jugendliche und einen Säugling aufzunehmen, doch Cunomar war zuversichtlich, dass es, wenn er es erst einmal erreicht hatte, gewiss ausreichend Platz böte. Zumindest beantwortete es die Frage, wie sie das Schiff erreichen wollten, das immerhin acht Speerwurflängen entfernt vor der Küste lag.
Zügig durchschnitt das Skiff das Wasser. Die Ruder hinterließen schaumige, grünlich schimmernde Streifen, die sein Vorankommen so präzise anzeigten wie Spuren im Sand. Es steuerte geradewegs auf einen deutlich hervortrendenden Ausläufer der Landzunge zu, der, wie man nun erkennen konnte, bereits in erreichbarer Nähe lag. Während er all dies beobachtete, spürte Cunomar endlich wieder ein Aufkeimen der Hoffung, wie er es in den letzten zwei Jahren seiner Gefangenschaft nicht mehr gefühlt hatte. Er wandte sich zu Cygfa um und sagte: »Der Gott des Verräters hat ihm also anscheinend …«
Er hielt abrupt inne. Für die Römer, die hinter ihnen herritten, bestand kein Anlass dafür, in Deckung zu bleiben, und folglich hatten sie auch nicht ihre Schwerter durch Schlamm gezogen. Landeinwärts ließ die Sonne feurige Funken von der Klinge eines zweischneidigen Schwerts aufsprühen. Gleich darauf war auch schon die Horde der sich darum bewegenden Schatten zu erkennen. Cunomar würgte.
Als Cygfa seinen Gesichtsausdruck sah, riss sie ihr Pferd herum. Valerius jedoch war noch schneller gewesen. Der
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