Das Schwert der Keltin
andere Wahl, und ich habe auch jetzt keine.«
»Du irrst dich. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, und kein Schwur ist bindend, außer wir machen ihn dazu.« Ihre Stimme war klar und deutlich und lauter als das Rauschen in seinen Ohren. Sie fuchtelte mit den Händen in der rauchgeschwängerten Luft herum. »Weißt du, jetzt, zum Beispiel, biete ich dir ganz eindeutig eine andere Wahl an. Dreh dich um! Hinter dir hängt ein Umhang. Nimm ihn und leg ihn dir um die Schultern.«
Den Umhang hatte Valerius gar nicht gesehen. Der Faltenwurf war weich, aus feinster Wolle. Als er den Umhang vom Haken nahm und zur Begutachtung in das Licht des Feuers hielt, stellte er fest, dass er blau war, von der Farbe des Himmels nach einem Regenschauer, und verziert mit einer Borte aus rotbrauner Wolle. Seine Schwester hatte einen Umhang von genau dieser Farbe getragen, als er das letzte Mal an ihrer Seite gekämpft hatte. Jetzt trug sie das Eisengrau von Mona und hatte für ihn nichts als Verachtung übrig. Valerius fühlte, wie ihm die Galle hochkam. Und in seinem leeren Herzen hörte er seine Mutter zum zweiten Mal sagen: Du bist allein und gottverlassen .
Mit zitternden Händen hängte er den Umhang wieder zurück und wie ein Kind sagte er: »Ich kann ihn nicht tragen. Wenn ich in diesen Umhang gehüllt hinausginge, würden sie mich auf der Stelle hängen.«
Die Großmutter verspottete ihn. »Es gibt noch andere Möglichkeiten, Träumer. Du kannst den Umhang ganz offen tragen oder aber auch insgeheim, in deinem Herzen. In jedem Fall aber würdest du die Anerkennung finden, nach der du dich so sehnst.«
»Ich sehne mich nach gar nichts.«
»Lügner!« Sie hatte sich erhoben und stand jetzt aufrecht vor ihm, eine kleine, knochige Gestalt, deren Kopf nur knapp bis zu dem Brandzeichen des Gottes auf seiner Brust reichte. In ihrer Stimme jedoch schwang die Macht von Jahrhunderten mit. Kein Mensch konnte sich dieser Autorität widersetzen. »Schon dein ganzes Leben lang hast du dich nur nach einer einzigen Sache gesehnt - nämlich nach wirklicher Zugehörigkeit zu deinem Volk und deinen Göttern. Ich biete sie dir nun an, als ein freimütig und bedingungslos gewährtes Geschenk. Geh jetzt wieder und erfreue dich an dem Wissen, dass die Erfüllung deiner Sehnsucht möglich ist - oder lebe mit dem schrecklichen Bewusstsein, dass du dich selbst für alle Zeit verflucht hast.«
»Nein.«
Das Einzige, was der Gott ihn gelehrt hatte, war, wie man die Stimme der Gottheit überhörte. In der Dunkelheit der Krypta hatte sich diese Stimme allerdings auch nicht ausschließlich an ihn gerichtet. Hier, in der bitteren Finsternis eines Ortes, den er schon durch seine bloße Anwesenheit besudelte, war er jedoch der einzige Punkt, auf den sie sich konzentrierte, und sie erschallte laut in seiner Seele. Das Brandzeichen auf seiner Brust brannte wie Feuer, ganz so, als ob es noch frisch wäre, und die Stimme seiner Mutter war verstummt, hatte ihm selbst dieses kleine bisschen Unterstützung noch entzogen. Verzweifelt presste Valerius die Hände auf die Ohren und schaltete die Götter aus, das Prasseln des Feuers, die Stimme eines alten Weibes - voller Furcht, in einen Tod getrieben zu werden, jenseits dessen nur noch Trostlosigkeit und Verzweiflung lauerten.
»Nein.« Erneut stieß er dieses Wort zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, jeder Überzeugung beraubt. Der Stier-Rauch wand sich um seinen Kopf, hielt ihn ähnlich wie Efeuranken eine Eiche umschlungen. Dünnen Fangarmen gleich drang der Rauch in sein Gemüt ein und nagte an ihm. Die alte Frau schien jetzt drohend über ihm aufzuragen, während sie in dem beschwörenden Flüsterton einer älteren Großmutter sprach, sogar im Tonfall der älteren Großmutter. »Nimm ihn, Kind, nimm ihn! Er ist dein Geburtsrecht. Der Mann, der ihn einst gemacht hat, war zuallererst ein Träumer und erst in zweiter Linie ein Krieger. Er wird für dich singen.« Sie sprach nicht nur von dem Umhang. Es war etwas sehr viel Bedeutsameres als Stierhaar, das da auf der Feuerstelle verbrannte.
» Nein!«
In ihrem verzweifelten Drängen, in ihrer schamlosen Anwendung von Macht lag die Kraft, die Valerius brauchte, um sich zu wehren. Wütend stieß er die alte Frau weg, trat das Feuer auseinander und verstreute dabei Tierhaare und Fellstückchen und glühende Kohlen über den gesamten Boden der Hütte, bis der Rauch in dicken, sauberen Schwaden aufstieg. Die umherfliegenden Funken trafen auf Stroh und steckten
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