Das Schwert der Keltin
wollte ich auf keinen Fall verzichten, auch wenn ich quer vor deinem Sattel gehangen habe und insofern von Reiten eigentlich keine Rede mehr sein kann.« Er schüttelte den Kopf - über sich selbst oder vielleicht auch bei der Erinnerung an das Erlebnis -, dann verblasste sein Lächeln. Er griff nach Valerius’ Hand und umschloss sie fest. Seine Handfläche war schweißfeucht und kalt. Nach einer Weile, als sie sich etwas wärmer anfühlte, fragte er: »Warum bist du hier und nicht bei ihm?«
Er stellte seine Frage zu beiläufig; sie kannten einander viel zu gut, als dass das nicht ersichtlich gewesen wäre. Valerius überlegte einen Moment und entschied dann, Longinus die Wahrheit zu sagen. »Der Tribun hat ihm verboten, Besuch zu empfangen. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Corvus möchte...«
Er blickte überrascht hinunter. Longinus hatte ihm den falkenköpfigen Dolch in die Hand gedrückt. Kopfschüttelnd, ganz so, als ob er jemanden vor sich hätte, der ein bisschen schwer von Begriff war, sagte der Thraker: »Geh und besuche ihn. Er muss unbedingt wissen, was du getan hast, wenn auch sonst nichts. Sag Theophilus, dass du für seine Genesung unerlässlich bist. Er wird dich unterstützen, und ein Tribun kann einem Arzt bei der Ausübung seines Berufs keine Vorschriften machen.«
IX
Valerius wartete lange Zeit auf dem Gang draußen vor der Tür. Das Lazarett war in konzentrischen Blöcken um einen Haupthof herum angeordnet; die Fenster der ruhigsten Zimmer gingen auf den Innenhof hinaus, weit fort von der Kakophonie der Festung. Die Wände waren weiß getüncht und mit den Insignien der Legionen und ihrer Flügel geschmückt; Steinbock, Keiler und Pegasus prangten, in gedämpften Farben aufgemalt, in regelmäßigen Abständen entlang der gesamten Korridorwände. Die Luft roch sauber, erfüllt von dem Duft von frischem Salbei und Rosmarin: Der süßliche Beigeschmack eitrigen, verfaulenden Fleisches war auf die Bereiche um die wenigen Zimmer herum beschränkt, in denen ganz offensichtlich Sterbende lagen.
Valerius stand vor einer Tür, auf die das Auge des Horus frisch mit blauer Farbe aufgemalt worden war, und atmete Luft ein, die mit Zitronenmelisse und einem leicht pfeffrigen Duft gewürzt war, vermischt mit dem Geruch eines Mannes, den er selbst mit geschlossenen Augen überall und jederzeit wieder erkennen würde.
Zweimal schon hatte er versucht, den Raum zu betreten, doch beide Male ohne jede innere Überzeugung. Es war nicht so sehr Marcus Ostorius’ Anweisung, sondern vielmehr sein eigener Mangel an Mut und Nervenstärke, der den Arzt veranlasst hatte, ihn wieder zurückzuschicken. In den wenigen Tagen, die seit der Schlacht vergangen waren, hatte Valerius festgestellt, dass er seine eigenen Motive ebenso sauber und mit ebenso wenig gefühlsmäßiger Anteilnahme analysieren konnte, wie er auch andere beurteilte. Während er nun vor der geschlossenen Tür stand, wusste er, dass er sich innerlich dagegen sträubte, das ganze Ausmaß von Corvus’ Verletzungen zu sehen, dass er lieber nicht herausfinden wollte, ob ein Körper, der sich bis vor kurzem noch seiner von Kampfnarben gezeichneten Vollständigkeit erfreut hatte, jetzt unheilbar verkrüppelt war, wie es bereits als möglich erschienen war, als sie Corvus über die Barriere hinweg hinausgebracht hatten. Und stärker noch als diese Furcht war Valerius’ Angst, dass eine andere Tür, die immer für ihn offen gestanden hatte, nun endgültig zugefallen war. Wenn dem so war, dann hatte sie sich schon vor der Schlacht geschlossen, und nichts von alledem, das seither geschehen war, würde sie wieder öffnen.
Das erste Zeichen dafür, dass jene Tür im Begriff war, für immer zuzufallen, hatte er in dem Chaos von sich abmarschbereit machenden Soldaten erhalten, als sie sich versammelten, um zu der Festung auf dem Gebiet der Eceni aufzubrechen. Männer und Pferde waren in ziemlich unkoordinierter Hektik in dem Nebengebäude umhergelaufen, wo sich die Armee vor dem Abmarsch versammelte. Valerius war gerade mit den Pferden seiner Truppe beschäftigt gewesen, als Corvus ihn zu sich rief.
Sie waren Knie an Knie geritten und hatten sich ein kleines Stück von dem Flügel entfernt. Corvus ritt sein Ersatzpferd, eine junge Rotschimmelstute mit bis zum Fesselgelenk weißen Beinen und gestreiften Hufen. Sie war von edlem Geblüt und den meisten anderen Tieren des Flügels weit überlegen, aber sie war nicht das Pferd, das Corvus durch die
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