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Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Bogenschützen hinausfahren, beginnst du einen Krieg gegen etwas, das du nicht kennst. Das, was du anrühren willst, kann sich als Hornissennest erweisen. Ich rate euch, lasst ihnen das Meer, denn das Meer ist nicht für euch da. Ihr wisst nicht und werdet nie erfahren, wohin die Treppe führt, die von den Drachenhauern hinabführt.«
    »Ihr seid im Irrtum, Fräulein Essi«, sagte Agloval ruhig. »Wir werden erfahren, wohin diese Treppe führt. Mehr noch, wir werden diese Treppe hinabgehen. Wir werden feststellen, was auf der anderen Seite des Ozeans ist, wenn dort überhaupt etwas ist. Und wir werden aus diesem Ozean alles herausholen, was sich nur herausholen lässt. Und wenn nicht wir, dann tun es unsere Enkel oder die Enkel unserer Enkel. Denn das ist nur eine Frage der Zeit. Ja, wir werden es tun, und wenn dieser Ozean rot von Blut werden muss. Und du weißt das, Essi, kluge Essi, die du mit deinen Balladen die Chronik des Menschengeschlechts schreibst. Das Leben ist keine Ballade, du kleine, arme, schönäugige Dichterin, inmitten deiner schönen Worte verloren. Das Leben ist Kampf. Und zu kämpfen haben uns eben jene Hexer gelehrt, die mehr wert sind als wir. Sie waren es, die uns den Weg gewiesen haben, sie haben uns diesen Weg gebahnt, sie haben ihn mit den Leichen derer gepflastert, die uns Menschen im Wege standen oder uns störten, mit den Leichen derer, die diese Welt gegen uns beschützt haben. Wir, Essi, setzen diesen Kampf nur fort. Wir sind es, nicht deine Balladen, die die Chronik der Menschheit erschaffen. Und wir brauchen keine Hexer mehr, denn auch so wird nichts uns aufhalten. Nichts.«
    Essi, blass geworden, blies gegen die Locke und warf den Kopf herum.
    »Nichts, Agloval?«
    »Nichts, Essi.«
    Die Dichterin lächelte.
    Aus dem Vorzimmer drangen plötzlich Stimmengewirr, Rufe, Schritte. In den Saal strömten Pagen und Wächter, bildeten gleich bei der Tür, niedergekniet oder mit gesenktem Kopf, ein Spalier.
    In der Tür stand Sh’eenaz.
    Ihre meergrünen Haare waren kunstvoll aufgesteckt, von einem prächtigen Diadem aus Korallen und Perlen gehalten. Sie trug ein Kleid von der Farbe des Meerwassers, mit Falbeln weiß wie die Gischt. Das Kleid war tief ausgeschnitten, so dass die Reize der Sirene, wiewohl teilweise bedeckt und von einem Halsband aus Nephrit und Lapislazuli geschmückt, noch immer höchster Bewunderung wert waren.
    »Sh’eenaz ...«, stöhnte Agloval und sank in die Knie. »Meine ... Sh’eenaz ...«
    Die Sirene kam langsam näher, und ihr Gang war weich und graziös, fließend wie eine heranlaufende Welle.
    Sie blieb vor dem Fürsten stehen, ließ lächelnd die kleinen weißen Zähne blitzen, dann aber nahm sie rasch das Kleid in die kleinen Hände und hob es hoch, weit genug, dass jeder beurteilen konnte, wie gut die Zauberin, die Meerfrau, ihre Arbeit getan hatte. Geralt schluckte. Kein Zweifel, die Meerfrau wusste, was schöne Beine sind und wie man sie herstellt.
    »Ha!«, schrie Rittersporn auf. »Meine Ballade ... Es ist ganz wie in meiner Ballade ... Sie hat sich für ihn Beine machen lassen, aber die Stimme verloren!«
    »Nichts habe ich verloren«, sagte Sh’eenaz melodisch in reinster Gemeinsprache. »Vorerst. Nach dieser Operation bin ich wie neu.«
    »Du sprichst unsere Sprache?«
    »Ja und, darf ich nicht? Wie geht es dir, Weißhaariger? Oh, und deine Geliebte ist auch da, Essi Daven, wenn ich mich richtig entsinne. Kennst du sie inzwischen besser, oder immer noch kaum?«
    »Sh’eenaz ...«, stöhnte Agloval herzzerreißend und kam ihr auf Knien entgegen. »Meine Liebe! Meine Geliebte ..., du Einzige ... Also doch, endlich. Also doch, Sh’eenaz!«
    Die Sirene gab ihm mit eleganter Bewegung die Hand zum Kuss.
    »Aber ja. Denn ich liebe dich ja auch, du Dummer. Und was wäre das für eine Liebe, wenn man nicht zu einem kleinen Opfer fähig wäre.«

IX
    Aus Bremervoord ritten sie am frühen Morgen fort, im kühlen Dunst, der den Glanz des hinterm Horizont aufsteigenden roten Sonnenballs brach. Sie ritten zu dritt. So hatten sie es beschlossen. Sie hatten nicht darüber gesprochen, keine Pläne gemacht – sie wollten einfach beisammen sein. Eine Zeitlang.
    Sie verließen das felsige Vorgebirge, sagten den zerklüfteten Klippen über den Stränden Lebwohl, den wunderlichen von Wind und Wellen gemeißelten Formationen der Kalkfelsen. Doch als sie in das blumengeschmückte und grüne Tal Dol Adalatte kamen, hatten sie noch immer den Geruch der See in der Nase,

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