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Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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bemerkte den dritten Leichnam, in ein ledernes Wams und einen kurzen, grünen Mantel gekleidet. Die Erde an den Füßen des Ermordeten war aufgewühlt, Mulm und Nadeln beiseitegefegt. Kein Zweifel – dieser Mann war lange gestorben.
    Er hörte ein Stöhnen.
    Rasch schob er das Wacholdergestrüpp auseinander, sah die tiefe Stubbenhöhle, die es verbarg. Darin, auf den freiliegenden Wurzeln einer Kiefer, lag ein Mann von stämmigem Wuchs, mit schwarzen, gelockten Haaren und ebensolchem Bart, der von der erschreckenden, geradezu an einen Leichnam gemahnenden Blässe des Gesichts abstach. Die helle Jacke aus Hirschleder war schwarz von Blut.
    Der Hexer sprang in die Höhlung. Der Verwundete öffnete die Augen.
    »Geralt ...«, stöhnte er. »O Götter ... Ich träume wohl ...«
    »Freixenet!« Der Hexer war verwundert. »Du hier?«
    »Ich ... Ooch ...«
    »Beweg dich nicht.« Geralt kniete neben ihm nieder. »Wo hat’s dich erwischt? Ich seh keinen Pfeil ...«
    »Ist raus ... Durchschuss. Hab die Spitze abgebrochen und ihn rausgezogen ... Hör, Geralt ...«
    »Sei still, Freixenet, sonst erstickst du am Blut. Du hast eine durchschossene Lunge. Verdammt, ich muss dich hier rausholen. Was, zum Teufel, habt ihr im Brokilon gemacht? Das ist das Gebiet der Dryaden, ihr Heiligtum, hier kommt niemand lebend heraus. Hast du das nicht gewusst?«
    »Später ...«, stöhnte Freixenet und spuckte Blut. »Ich erzähl’s dir später ... Jetzt zieh mich raus ... Och, verdammt ... Vorsichtig ... Ooch ...«
    »Ich schaff’s nicht.« Geralt richtete sich auf, blickte sich um. »Du bist zu schwer.«
    »Lass mich liegen«, stöhnte der Verwundete. »Lass mich liegen, wenn’s sein muss ... Aber rette sie ... Bei den Göttern, rette sie ...«
    »Wen?«
    »Die Prinzessin ... Och ... Finde sie, Geralt ...«
    »Lieg ruhig, verdammt! Gleich bau ich was zusammen und hol dich raus.«
    Freixenet hustete heftig und spuckte wieder, ein dicker, langer Faden Blut blieb ihm am Bart hängen. Der Hexer fluchte, sprang aus der Höhlung, schaute sich um. Er brauchte zwei junge Bäume. Rasch lief er auf den Rand der Lichtung zu, wo er zuvor eine Ansammlung von Erlen gesehen hatte.
    Ein Schwirren und ein trockener Aufschlag.
    Geralt erstarrte auf der Stelle. Der Pfeil, der in Höhe seines Kopfes in einem Baumstamm stak, hatte Habichtfedern am Schaft. Er schaute in die Richtung, die der gefiederte Schaft anzeigte, er wusste, woher der Schuss gekommen war. An die fünfzig Schritte entfernt war wieder eine Erdhöhle, ein umgestürzter Baum, der ein Wurzelgeflecht emporreckte, das noch immer einen großen Klumpen sandiger Erde umschloss. Die Dunkelheit war so dicht wie das Schlehengestrüpp dort, nur von einigen helleren Streifen von Birkenstämmen durchbrochen. Er sah niemanden. Er hatte gewusst, dass er niemanden erblicken würde.
    Er hob beide Hände, sehr langsam.
    »Caédmil! Vá an Eithné meáth e Duén Canell! Esseá Gwynbleidd!«
    Diesmal hörte er das leise Schwirren der Sehne und sah den Pfeil, er war also so abgeschossen worden, dass er ihn sähe. Steil nach oben. Er sah, wie er emporstieg, wie er den Flug verlangsamte, wie er in gekrümmter Bahn herabfiel. Er rührte sich nicht. Der Pfeil traf fast senkrecht in den Mulm, zwei Schritt von ihm entfernt. Fast sofort steckte daneben im gleichen Winkel ein zweiter. Er fürchtete, dass er den nächsten nicht mehr sehen würde.
    »Meáth Eithné!«, rief er abermals. »Esseá Gwynbleidd!«
    »Gláeddyv vhort!« Eine Stimme wie ein Windhauch. Eine Stimme, kein Pfeil. Er lebte. Langsam löste er die Gürtelschnalle, hielt das Schwert weit von sich, warf es weg. Eine zweite Dryade beugte sich lautlos hinter einem von Wacholder umwucherten Tannenstamm hervor, nicht mehr als zehn Schritte von ihm entfernt. Obwohl sie klein und sehr schmächtig war, wirkte der Stamm dünner. Er hatte keine Ahnung, wieso er sie nicht bemerkt hatte, als er gekommen war. Vielleicht tarnte ihre Kleidung sie – eine Zusammenstellung sonderbar zusammengenähter Stoffstücke in vielen Grün- und Brauntönen, mit Blättern und Borkestücken bedeckt, die ihre hübsche Figur nicht entstellte. Ihre Haare, an der Stirn von einem schwarzen Band zusammengehalten, hatten eine olivgrüne Farbe, und über das Gesicht liefen quer mit Nussschalen aufgemalte Streifen.
    Natürlich hielt sie den Bogen gespannt und auf ihn gerichtet.
    »Eithné ...«, begann er.
    »Tháess aep!«
    Er verstummte gehorsam, stand reglos da und hielt die Hände vom

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