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Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Körper weg. Die Dryade senkte den Bogen nicht.
    »Dunca!«, rief sie. »Braenn! Cáemm vort!«
    Diejenige, die zuvor geschossen hatte, sprang aus dem Unterholz hervor, den umgestürzten Stamm entlang, setzte behende über die Grube. Obwohl dort ein Gewirr von trockenen Zweigen lag, hörte er keinen einzigen unter ihren Füßen knacken. Hinter sich, nahe, vernahm er ein leises Geräusch, wie das Rascheln von Blättern im Winde. Er wusste, dass er die dritte hinter sich hatte.
    Ebendiese dritte, die sich blitzschnell seitlich vorbeugte, hob sein Schwert auf. Sie hatte honigfarbene Haare, die von einem Band aus Binsen gehalten wurden. Ein Köcher voller Pfeile schwankte auf ihrem Rücken.
    Die am weitesten Entfernte, die bei der Erdhöhle, kam rasch näher. Ihre Kleidung unterschied sich in nichts von der ihrer Gefährtinnen. Auf dem stumpfen, ziegelroten Haar trug sie einen aus Klee und Heidekraut gewundenen Kranz. Sie hielt den Bogen nicht gespannt, doch auf der Sehne lag ein Pfeil.
    »Ten thesse in Maéth aep Eithné liev?«, fragte sie im Näherkommen. Sie hatte eine ungewöhnlich melodische Stimme, die Augen waren groß und schwarz. »Ess’ Gwynbleidd?«
    »Aé ... aessseá ...«, begann er, doch die Worte des Brokilon-Dialekts, die im Munde der Dryaden wie Gesang klangen, blieben ihm in der Kehle stecken und taten den Lippen weh. »Spricht keine von euch die Gemeinsprache? Ich kann nicht besonders gut ...«
    »An’váill. Vort llinge«, schnitt sie ihm das Wort ab.
    »Ich bin Gwynbleidd, der Weiße Wolf. Frau Eithné kennt mich. Ich bin mit einer Botschaft zu ihr unterwegs. Ich bin schon im Brokilon gewesen. In Duén Canell.«
    »Gwynbleidd«, die Ziegelrote kniff die Augen zusammen. »Vatt’ghern?«
    »Ja«, bestätigte er. »Ich bin Hexer.«
    Die Honigfarbene schnaubte zornig, senkte aber den Bogen. Die Ziegelrote sah ihn mit weit geöffneten Augen an, ihr mit grünen Streifen gezeichnetes Gesicht aber war völlig reglos, tot, wie das Gesicht einer Statue. Diese Reglosigkeit erlaubte es nicht, ihr Gesicht als schön oder hässlich einzuordnen – anstatt solch einer Einordnung drängte sich der Gedanke an Gleichgültigkeit und Seelenlosigkeit auf, wenn nicht Grausamkeit. Geralt tadelte sich in Gedanken für diese Einschätzung, denn er hatte sich bei einer irreführenden Vermenschlichung der Dryaden ertappt. Er musste doch wissen, dass sie einfach älter als die beiden anderen war. Entgegen allem Anschein war sie viel, viel älter.
    Sie standen da in unentschiedenem Schweigen. Geralt hörte Freixenet stöhnen, ächzen und husten. Die Ziegelrote musste das auch hören, doch ihr Gesicht zuckte nicht einmal. Der Hexer stemmte die Hände in die Hüften.
    »Dort in der Stubbenhöhle«, sagte er ruhig, »liegt ein Verwundeter. Wenn er keine Hilfe erhält, stirbt er.«
    »Tháess aep!« Die Olivgrüne spannte den Bogen, die Pfeilspitze genau auf sein Gesicht gerichtet.
    »Lasst ihr ihn verrecken?« Er hob die Stimme nicht. »Lasst ihr ihn einfach so am Blut ersticken? Dann wäre es besser, ihn zu erledigen.«
    »Halt den Mund!«, zischte die Dryade nun in der Gemeinsprache. Doch sie senkte den Bogen und ließ die Sehne etwas lockerer. Sie schaute die andere fragend an. Die Ziegelrote nickte, zeigte zu der Höhlung. Die Olivgrüne lief hin, rasch und lautlos.
    »Ich will Frau Eithné sehen«, wiederholte Geralt. »Ich bringe eine Botschaft.«
    »Sie« – die Ziegelrote zeigte auf die Honigfarbene – »führt dich nach Duén Canell. Geh.«
    »Freix ... Und der Verwundete?«
    Die Dryade schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Sie spielte noch immer mit dem auf der Sehne liegenden Pfeil.
    »Gräm dich nicht«, sagte sie. »Geh. Sie führt dich.«
    »Aber ...«
    »Va’en vort!«, schnitt sie ihm das Wort ab und presste die Lippen zusammen.
    Er zuckte mit den Schultern, wandte sich zu der mit den honigfarbenen Haaren um. Sie wirkte von allen dreien am jüngsten, doch er mochte sich täuschen. Er bemerkte, dass sie blaue Augen hatte.
    »Gehen wir also.«
    »Ja«, sagte die Honigfarbene leise. Nach einem kurzen Zögern gab sie ihm das Schwert. »Gehen wir.«
    »Wie heißt du?«
    »Halt den Mund.«
    Sie ging sehr schnell durch das Dickicht, ohne sich umzuschauen. Geralt musste sich sehr anstrengen, um mit ihr Schritt zu halten. Er wusste, dass die Dryade das absichtlich tat, er wusste, dass sie wollte, der hinter ihr gehende Mensch möge stöhnend im Unterholz hängenbleiben, erschöpft zu Boden sinken,

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