Das Schwert der Vorsehung
Setz dich.«
Er setzte sich, nachdem er vorher zeremoniell niedergekniet war.
»Hast du dich ausgeruht?«, fragte die Dryade, ohne ihn anzuschauen oder das Kämmen zu unterbrechen. »Wann kannst du dich auf den Rückweg machen? Was hältst du von morgen früh?«
»Wann immer du es befiehlst«, erwiderte Geralt kalt, »Herrin des Brokilon. Es genügt ein Wort von dir, dass ich aufhöre, dich mit meiner Anwesenheit in Duén Canell zu belästigen.«
»Geralt.« Eithné wandte langsam den Kopf. »Nimm es mir nicht übel. Ich kenne und schätze dich. Ich weiß, dass du niemals einer Dryade, einer Nixe, einer Sylphide oder Nymphe ein Leid angetan hast, ganz im Gegenteil, es ist vorgekommen, dass du sie verteidigt, ihnen das Leben gerettet hast. Aber das ändert nichts. Zu vieles trennt uns. Wir gehören verschiedenen Welten an. Ich will und kann keine Ausnahmen machen. Für niemanden. Ich werde nicht fragen, ob du es verstehst, denn ich weiß, dass dem so ist. Ich frage, ob du es akzeptierst.«
»Was ändert das?«
»Nichts. Aber ich will es wissen.«
»Ich akzeptiere es«, bestätigte er. »Aber was ist mit ihr? Mit Ciri? Sie gehört auch zu der anderen Welt.«
Ciri sah ihn scheu an, dann warf sie einen Blick nach oben, zu der Dryade. Eithné lächelte.
»Noch nicht zu lange«, sagte sie.
»Eithné, bitte. Überleg es dir.«
»Was?«
»Gib sie mir. Sie soll mit mir zurückkehren. In die Welt, in die sie gehört.«
»Nein, Weißer Wolf.« Die Dryade fuhr wieder mit dem Kamm durch die aschfarbenen Haare des Mädchens. »Ich gebe sie nicht weg. Gerade du musst das verstehen.«
»Ich?«
»Du. Sogar in den Brokilon dringen Nachrichten aus der Welt. Nachrichten von einem gewissen Hexer, der für geleistete Dienste mitunter sonderbare Schwüre verlangt. ›Du sollst mir geben, was du daheim nicht erwartet hast.‹ ›Du sollst mir geben, was du schon besitzt, ohne davon zu wissen.‹ Kommt dir das bekannt vor? So versucht ihr ja seit einiger Zeit die Vorsehung zu lenken, sucht Jungen, die das Schicksal zu euren Nachfolgern bestimmt hat, wollt euch vor Auslöschung und Vergessenheit bewahren. Vor dem Nichtsein. Warum also wunderst du dich über mich? Ich sorge mich um das Schicksal der Dryaden. Das ist doch wohl gerecht? Für jede von Menschen ermordete Dryade ein Menschenmädchen.«
»Wenn du sie festhältst, wirst du Feindschaft und Rachsucht erwecken, Eithné. Flammenden Hass wirst du erwecken.«
»Er ist mir nicht neu, der Hass der Menschen. Nein, Geralt. Ich gebe sie nicht her. Zumal sie gesund ist. Das kommt in letzter Zeit nicht oft vor.«
»Nicht oft?«
Die Dryade richtete ihre großen, silbernen Augen auf ihn.
»Sie schieben mir kranke Mädchen unter. Diphtherie, Scharlach, Krupp, neulich sogar die Pocken. Sie denken, wir hätten keine Immunität, eine Epidemie würde uns vernichten, zumindest aber dezimieren. Du kannst sie enttäuschen, Geralt. Wir haben etwas mehr als Immunität. Der Brokilon sorgt für seine Kinder.«
Sie verstummte, beugte sich herab, kämmte vorsichtig eine verfilzte Haarsträhne Ciris durch, nahm die andere Hand zu Hilfe.
»Darf ich« – der Hexer räusperte sich – »zu der Botschaft kommen, mit der mich König Venzlav gesandt hat?«
»Ist dazu nicht die Zeit zu schade?« Eithné hob den Kopf. »Wozu sollst du dir die Mühe machen? Ich weiß doch genau, was König Venzlav will. Dazu braucht es keinerlei prophetische Gaben. Er will, dass ich ihm den Brokilon überlasse, sicherlich bis ans Flüsschen Vda, das er, wie mir bekannt, für die natürliche Grenze zwischen Brugge und Verden hält oder gern halten möchte. Als Gegenleistung, nehme ich an, bietet er mir eine Enklave, ein kleines und wildes Fleckchen Wald. Und sicherlich bürgt er mit königlichem Wort und königlichem Schutz dafür, dass dieses kleine und wilde Fleckchen, dieser Zipfel Wildnis mir für alle Ewigkeit gehören und niemand es wagen wird, dort die Dryaden zu belästigen. Dass die Dryaden dort im Frieden leben könnten. Was, Geralt? Venzlav würde gern den seit zwei Jahrhunderten andauernden Krieg um den Brokilon beenden. Und um ihn zu beenden, sollen ihm die Dryaden das geben, bei dessen Verteidigung sie seit zweihundert Jahren sterben? Einfach so – hergeben? Den Brokilon hergeben?«
Geralt schwieg. Er hatte nichts hinzuzufügen. Die Dryade lächelte.
»Hat so das königliche Angebot gelautet, Gwynbleidd? Oder war es vielleicht ehrlicher, indem es hieß: ›Trag den Kopf nicht so hoch, du
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