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Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Fähigkeit zu fühlen genommen, damit ich nicht fühle, wie ungeheuerlich widerwärtig dieser Unrat ist, damit ich nicht zurückweiche, nicht vor ihm fliehe, vom Grauen überwältigt. Ja, man hat mir die Gefühle genommen. Aber unvollständig. Wer das getan hat, hat geschludert, Yen.«
    Sie schwiegen. Der schwarze Turmfalke raschelte mit dem Gefieder, breitete die Flügel aus und legte sie wieder an.
    »Geralt ...«
    »Ich höre, Yen.«
    »Jetzt antworte du auf meine Frage. Auf die Frage, die ich nie gestellt habe. Die, vor der ich mich gefürchtet habe ... Auch jetzt werde ich sie dir nicht stellen, aber antworte darauf. Denn ... denn ich möchte sehr gern deine Antwort hören. Das eine, einzige Wort, das du mir nie gesagt hast. Sag es, Geralt. Bitte.«
    »Ich kann nicht, Yen.«
    »Was ist der Grund?«
    »Weißt du es nicht?« Er lächelte traurig. »Meine Antwort wäre nur ein Wort. Ein Wort, das kein Gefühl ausdrückt, keine Empfindung, denn die hat man mir genommen. Ein Wort, das nur ein Geräusch wäre, wie es beim Draufklopfen ein leerer und hohler Schädel von sich gibt.«
    Sie schaute ihn schweigend an. Ihre Augen, weit offen, nahmen die Farbe von leuchtendem Violett an.
    »Nein, Geralt«, sagte sie, »das ist nicht wahr. Oder vielleicht ist es auch wahr, aber nicht die ganze Wahrheit. Du bist nicht ohne Gefühle. Jetzt sehe ich es ... Jetzt weiß ich, dass ...«
    Sie verstummte.
    »Red zu Ende, Yen. Du hast dich schon entschieden. Lüg nicht. Ich kenne dich. Ich sehe es in deinen Augen.«
    Sie senkte den Blick nicht. Er wusste es.
    »Yen«, flüsterte er.
    »Gib die Hand«, sagte sie.
    Sie nahm seine Hand zwischen ihre Hände, sofort fühlte er ein Kribbeln und Pochen des Blutes in den Adern des Unterarms. Yennefer flüsterte Zaubersprüche, mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme, doch er sah die Schweißperlen, die die Anstrengung ihr auf die blass gewordene Stirn treten ließ, sah die vor Schmerz geweiteten Pupillen.
    Nachdem sie seine Hand losgelassen hatte, streckte sie die Hände aus, bewegte sie, streichelte sorgsam eine unsichtbare Gestalt, langsam, von oben nach unten. Zwischen ihren Fingern begann sich die Luft zu verdichten und zu trüben, zu wallen und wie Rauch zu ziehen.
    Er schaute gebannt zu. Schöpfermagie, die als Gipfel der Zauberkunst galt, hatte ihn schon immer fasziniert, viel mehr als Illusionen oder Transformationsmagie. Ja, Istredd hatte recht, dachte er, im Vergleich zu solcher Magie wirken meine 
Zeichen
 einfach lächerlich.
    Zwischen Yennefers vor Anstrengung zitternden Händen materialisierte sich langsam die Gestalt eines kohleschwarzen Vogels. Die Finger der Zauberin streichelten sanft das gesträubte Gefieder, das flache Köpfchen, den krummen Schnabel. Noch eine Bewegung, hypnotisch fließend und behutsam, und der schwarze Turmfalke drehte den Kopf und schrie laut. Sein Zwillingsbruder, der noch immer reglos auf dem Geweih saß, antwortete ihm.
    »Zwei Turmfalken«, sagte Geralt leise. »Zwei schwarze Turmfalken, mit Magie erschaffen. Wie ich vermute, brauchst du sie beide.«
    »Du vermutest richtig«, sagte sie mit Mühe. »Beide brauche ich. Ich habe mich geirrt, als ich dachte, einer würde genügen. Wie oft habe ich mich geirrt, Geralt ... Zu welchem Irrtum hat mich der Stolz der Winterkönigin geführt, die von ihrer Allmacht überzeugt war. Doch es gibt Dinge ... die man nicht einmal mit Magie erlangt. Und es gibt Gaben, die man nicht annehmen darf, wenn man nicht imstande ist, sie zu erwidern ... mit etwas ebenso Wertvollem. Sonst rinnt einem so eine Gabe durch die Finger, schmilzt wie ein Eissplitter, den man in der Hand hält. Es bleibt nur Trauer, das Gefühl von Verlust und Kränkung ...«
    »Yen ...«
    »Ich bin eine Zauberin, Geralt. Die Macht über die Materie, die ich besitze, ist eine Gabe. Eine wechselseitige Gabe. Ich habe dafür bezahlt ... Mit allem, was ich besaß. Mir ist nichts geblieben.«
    Er schwieg. Die Zauberin rieb sich mit der zitternden Hand die Stirn.
    »Ich habe mich geirrt«, wiederholte sie. »Aber es ist wirklich mein Fehler. Gefühle und Empfindungen ...«
    Sie berührte den Kopf des schwarzen Turmfalken. Der Vogel sträubte das Gefieder, öffnete lautlos den krummen Schnabel.
    »Gefühle, Launen und Lügen, Faszination und Spiel. Empfindungen und ihr Fehlen ... Gaben, die man nicht annehmen darf ... Lüge und Wahrheit. Was ist wahr? Die Verneinung der Lüge? Oder die Feststellung einer Tatsache? Wenn aber die Tatsache eine Lüge ist, was

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