Das Schwert der Vorsehung
würde ich das Hindernis im Handumdrehen verschwinden lassen, würde dich auf das Ende von Kap Bremervoord teleportieren oder mit einem Wirbelwind ins Land Hannu versetzen. Wenn ich mich ein wenig anstrengte, würde ich dich in einen Quarzbrocken einschließen und im Garten in ein Pfingstrosenbeet stellen. Ich könnte dir auch so das Gehirn umdrehen, dass du vergisst, wer ich war und wie ich hieß. Und das alles unter der Voraussetzung, dass ich Lust dazu hätte. Denn ich könnte einfach sagen: ›Es war schön, leb wohl.‹ Ich könnte mich einfach still verdrücken, wie du es einmal getan hast, als du aus meinem Haus in Vengerberg weggelaufen bist.«
»Schrei nicht, Yen, sei nicht aggressiv. Und grab diese Geschichte von Vengerberg nicht wieder aus, wir haben uns schließlich vorgenommen, nicht darauf zurückzukommen. Ich habe dir nichts vorzuwerfen, Yen, und ich mache dir ja auch keine Vorwürfe. Ich weiß, dass man dich nicht mit gewöhnlichen Maßstäben messen kann. Aber dass es mir leidtut ... Dass mich das Bewusstsein umbringt, dich zu verlieren ... Das ist das Zellgedächtnis. Atavistische Reste von Empfindungen bei einem seiner Gefühle beraubten Mutanten ...«
»Ich ertrag’s nicht, wenn du so redest!«, explodierte sie. »Ich kann’s nicht leiden, wenn du dieses Wort benutzt! Benutze es nie wieder in meinem Beisein! Nie!«
»Ändert das die Tatsache?! Ich bin ja ein Mutant.«
»Da gibt es keine Tatsache. Sprich das Wort in meinem Beisein nicht aus.«
Der schwarze Turmfalke, der auf dem Hirschgeweih saß, schlug mit den Flügeln, scharrte mit den Krallen. Geralt betrachtete den Vogel, sein gelbes, regloses Auge. Yennefer stützte das Kinn wieder auf die gefalteten Hände.
»Yen.«
»Ich höre, Geralt.«
»Du hast versprochen, auf meine Fragen zu antworten. Auf Fragen, die ich nicht einmal zu stellen brauche. Es ist eine übriggeblieben, die wichtigste. Die, die ich dir nie gestellt habe. Die zu stellen ich Angst hatte. Beantworte sie.«
»Ich kann es nicht, Geralt«, sagte sie hart.
»Ich glaube dir nicht, Yen. Ich kenne dich zu gut.«
»Eine Zauberin kann man nicht gut kennen.«
»Beantworte meine Frage, Yen.«
»Ich antworte: Ich weiß nicht. Aber was ist das für eine Antwort?«
Sie schwiegen. Der von der Straße heraufdringende Lärm ebbte ab, beruhigte sich.
Die sich zum Untergang hin neigende Sonne tauchte die schmalen Fenster in Feuer, durchdrang das Zimmer mit schrägen Lichtgarben.
»Aedd Gynvael«, murmelte der Hexer. »Ein Eissplitter ... Ich habe es gespürt. Ich wusste, dass diese Stadt ... Sie ist mir feindlich. Böse.«
»Aedd Gynvael«, wiederholte sie langsam. »Der Schlitten der Elfenkönigin. Warum? Warum, Geralt?«
»Ich fahre dir nach, Yen, denn ich habe die Zügel von meinem Schlitten an die Kufen von deinem gebunden. Und rings um mich ist Schneetreiben. Und Frost. Kälte.«
»Wärme würde in dir den Eissplitter tauen lassen, mit dem ich dich getroffen habe«, flüsterte sie. »Dann würde der Zauber erlöschen, du würdest mich sehen, wie ich wirklich bin.«
»Dann treib die weißen Pferde voran, Yen, sollen sie nach Norden stürmen, dorthin, wo es niemals taut. Damit er niemals schmilzt. Ich möchte so schnell wie möglich in deinem Eispalast sein.«
»Diesen Palast gibt es nicht.« Yennefers Lippen zuckten. »Er ist ein Symbol. Und unsere Schlittenfahrt ist das Streben nach einem Traum, der unerreichbar ist. Denn mich, die Elfenkönigin, verlangt es nach Wärme. Ebendas ist mein Geheimnis. Darum trägt mich mein Schlitten Jahr für Jahr im Schneegestöber durch irgendein Städtchen, und Jahr für Jahr knüpft jemand, den mein Zauber getroffen hat, die Zügel seines Schlittens an die Kufen von meinem. Jahr für Jahr. Jahr für Jahr ein neuer. Ohne Ende. Denn die Wärme, nach der mich so verlangt, macht sogleich die Zauberei zunichte, die Magie und Hexerei. Mein von dem Eissternchen getroffener Auserwählter wird plötzlich ein gewöhnlicher Niemand. Und ich werde in seinen aufgetauten Augen nicht anders als andere ... kleine Sterbliche ...«
»Und unter dem makellosen Weiß kommt der Frühling zum Vorschein«, sagte er. »Zum Vorschein kommt Aedd Gynvael, das schmutzige Städtchen mit dem schönen Namen. Aedd Gynvael und seine Müllhalde, ein riesiger stinkender Haufen Abfall, in den ich hineingehen muss, denn dafür bezahlt man mich, denn dafür bin ich geschaffen, dass ich in Unrat hineingehe, der andere mit Abscheu und Ekel erfüllt. Man hat mir die
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