Das Schwert der Vorsehung
ist dann wahr? Wer ist voller Gefühle, die ihn hin und her reißen, und wer die hohle Schale eines kalten Schädels? Wer? Was ist wahr, Geralt? Was ist Wahrheit?«
»Ich weiß nicht, Yen. Sag es mir.«
»Nein«, sagte sie und senkte den Blick. Zum ersten Mal. Nie zuvor hatte er sie das tun sehen. Niemals.
»Nein«, wiederholte sie. »Ich kann nicht, Geralt. Ich kann dir das nicht sagen. Dieser Vogel wird es dir sagen, der aus der Berührung deiner Hand entstanden ist. Vogel? Was ist Wahrheit?«
»Wahrheit«, sagte der Vogel, »ist ein Eissplitter.«
VI
Obwohl es ihm so vorkam, als streife er ohne Ziel und Absicht durch die Straßen, fand er sich plötzlich am Südwall wieder, auf dem Ausgrabungsgelände, inmitten eines Netzes von Gräben, die die Ruinen an der Steinwand durchzogen, im Zickzack zwischen den freigelegten Quadraten alter Fundamente verliefen.
Istredd war da. In einem Wams mit hochgekrempelten Ärmeln und in hohen Stiefeln rief er den Knechten etwas zu, die mit Hacken die streifige Wand einer Grube abtrugen, die aus verschiedenfarbigen Schichten von Erde, Lehm und alter Kohle bestand. Daneben lagen auf Brettern schwarz gewordene Knochen, Topfscherben und andere Gegenstände, die nicht zu erkennen waren, korrodiert, zu Rostklumpen geworden.
Der Zauberer bemerkte ihn sofort. Nachdem er den Grabenden ein paar laute Anweisungen gegeben hatte, sprang er aus der Grube, kam näher, wobei er sich die Hände an der Hose abwischte.
»Ich höre; worum geht es?«, fragte er kurz angebunden.
Der Hexer, der reglos vor ihm stand, antwortete nicht. Die Knechte, die so taten, als arbeiteten sie, beobachteten sie aufmerksam, flüsterten untereinander.
»Du sprühst geradezu vor Hass.« Istredd verzog das Gesicht. »Worum geht es?, frage ich. Hast du dich entschieden? Wo ist Yenna? Ich hoffe ...«
»Mach dir keine allzu großen Hoffnungen, Istredd.«
»Oho«, sagte der Zauberer. »Was höre ich da in deiner Stimme? Deute ich das richtig?«
»Was deutest du denn?«
Istredd stemmte die Fäuste in die Hüfte und sah den Hexer herausfordernd an.
»Wir wollen uns nichts vormachen, Geralt«, sagte er. »Du hasst mich und ich dich auch. Du hast mich beleidigt, als du über Yennefer ... du weißt schon was gesagt hast. Und ich habe mit einer ähnlichen Beleidigung geantwortet. Du stehst mir ihm Wege, ich dir. Regeln wir das wie Männer. Ich sehe keine andere Lösung. Deswegen bist du hergekommen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Geralt und rieb sich die Stirn. »Du hast recht, Istredd. Deshalb bin ich hergekommen. Zweifellos.«
»Richtig. Das kann nicht so weitergehen. Erst heute habe ich erfahren, dass Yennefer seit ein paar Jahren wie ein Weberschiffchen zwischen uns hin und her pendelt. Mal ist sie mit mir zusammen, mal mit dir. Sie flieht vor mir, um dich zu suchen, und umgekehrt. Die anderen, mit denen sie zwischendurch zusammen ist, zählen nicht. Es zählen nur wir beide. So kann es nicht bleiben. Wir sind unser zwei, bleiben darf nur einer.«
»Ja«, wiederholte Geralt, ohne die Hände von der Stirn zu nehmen. »Ja ... Du hast recht.«
»In unserer Verblendung«, fuhr der Zauberer fort, »dachten wir, Yennefer würde ohne Zögern den Besten wählen. In Bezug darauf, wer der Beste wäre, hatte keiner von uns Zweifel. Es kam so weit, dass wir wie rotznäsige Bengel um ihre Blicke wetteiferten, und auch fast wie Rotznasen erkannten wir, was diese Blicke waren und was sie bedeuteten. Ich vermute, du hast dir das so wie ich durch den Kopf gehen lassen und weißt, wie sehr wir uns beide getäuscht haben. Yenna, Geralt, hat nicht im mindesten vor, sich für einen von uns zu entscheiden, selbst wenn wir annehmen, dass sie es könnte. Nun ja, wir werden das für sie erledigen müssen. Denn ich habe nicht vor, Yenna mit wem auch immer zu teilen, und die Tatsache, dass du hergekommen bist, zeugt davon, dass es bei dir ebenso ist. Wir kennen sie, Geralt, zu gut. Solange wir zwei sind, kann keiner von uns ihrer sicher sein. Es muss einer übrigbleiben. Du hast das verstanden. Das ist doch die Wahrheit?«
»Das ist die Wahrheit«, sagte der Hexer und hatte Mühe, die erstarrenden Lippen zu bewegen. »Die Wahrheit ist ein Eissplitter ...«
»Was?«
»Nichts.«
»Was ist mit dir los? Bist du krank oder betrunken? Oder vielleicht mit Hexertränken vollgepumpt?«
»Nichts ist mit mir los. Etwas ... etwas ist mir ins Auge geraten. Istredd, es muss einer übrigbleiben. Ja, deswegen bin ich gekommen. Zweifellos.«
»Ich
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