Das Schwert der Vorsehung
nicht vollends – durch an allen möglichen Stellen aufgehängte Bündel von Mistelzweigen und Heidekraut überdeckt worden, die mit bunten Bändern verziert waren. Hier und da hingen auch, wie es der Brauch vorschrieb, Knoblauchzöpfe, die Vampire abschrecken sollten. Tische und Bänke, an die Wände gerückt, waren mit weißem Tuch bedeckt, in einer Ecke war eine große Feuerstelle mit einem Bratspieß improvisiert worden. Es war voll, aber nicht laut. Über fünfzig Leute unterschiedlichsten Standes und Berufes sowie der picklige Verlobte und die ihn anhimmelnde stupsnasige Verlobte lauschten andächtig einer klangvollen und melodischen Ballade, gesungen von einem Mädchen in einem bescheidenen blauen Kleidchen, das auf einem Podest saß, die Laute aufs Knie gestützt. Das Mädchen konnte nicht älter als achtzehn sein und war sehr schmächtig. Ihr Haar, lang und voll, hatte die Farbe von dunklem Gold. In dem Augenblick, als sie eintraten, beendete das Mädchen sein Lied, dankte mit einem Kopfnicken für den donnernden Applaus, dass die Haare wehten.
»Willkommen, Meister, willkommen!« Drouhard, festlich gekleidet, kam rasch auf sie zu, zog sie in die Mitte des Saales. »Seid auch Ihr willkommen, Herr Geralt ... Habe die Ehre ... So ... Erlaubt ... Verehrte Damen und Herren! Hier ist unser Ehrengast, der uns die Ehre erweist und uns beehrt ... Meister Rittersporn, der berühmte Sänger und Verseschm ... Dichter, meine ich, ehrt uns mit der großen Ehre ... Es ist uns also eine Ehre ...«
Es ertönten Rufe und Beifall, gerade noch rechtzeitig, denn es sah so aus, als würde sich Drouhard vor lauter Ehre zu Tode stottern. Rittersporn, vor Stolz rot angelaufen, hatte eine geduldige Miene aufgesetzt und verneigte sich lässig, worauf er den Mädchen zuwinkte, die auf einer langen Bank saßen wie Hühner auf der Stange, von älteren Matronen eskortiert. Die Mädchen saßen steif da und machten den Eindruck, sie seien mit Tischlerleim oder einem anderen wirksamen Mittel an der Bank festgeklebt. Allesamt hielten sie die Hände auf den krampfhaft zusammengepressten Knien und den Mund halb offen.
»Nun aber«, rief Drouhard. »Alsdann, ans Bier, Gevattern, und ans Essen! Bitte, bitte! Was Küche und Keller ...«
Das Mädchen in dem blauen Kleid bahnte sich einen Weg durch die Menge, die wie eine Meereswoge an die mit Speisen vollgestellten Tische brandete.
»Grüß dich, Rittersporn«, sagte sie.
Die Bezeichnung »Augen wie Sterne« hielt Geralt für banal und abgeschmackt, insbesondere seit er zusammen mit Rittersporn reiste, denn der Troubadour pflegte mit diesem Kompliment auf Schritt und Tritt um sich zu werfen, meistens übrigens unbegründet. In Bezug auf Essi Daven musste jedoch sogar jemand für Poesie derart Unempfängliches wie der Hexer zugeben, dass der Ausdruck zutraf. In dem hübschen und sympathischen, aber sonst durch weiter nichts Besonderes hervorstechenden Gesichtchen brannte nämlich ein großes, schönes, tiefblau funkelndes Auge, von dem man den Blick nicht wenden konnte. Essi Davens anderes Auge war meistens von einer goldfarbenen Locke bedeckt, die ihr in die Stirn fiel. Essi warf diese Locke von Zeit zu Zeit mit einer Kopfbewegung oder indem sie nach oben blies beiseite, und dann zeigte sich, dass Äugleins anderes Äuglein dem ersten in nichts nachstand.
»Grüß dich, Äuglein«, sagte Rittersporn mit einem Grinsen. »Eine hübsche Ballade hast du da eben gesungen. Du hast dein Repertoire wesentlich verbessert. Ich hab immer gesagt, dass man, wenn man keine Gedichte schreiben kann, fremde verwenden muss. Verwendest du viele?«
»Ein paar«, gab Essi Daven sofort zurück und zeigte lächelnd ihre weißen Zähnchen. »Zwei oder drei. Ich wollte mehr nehmen, aber es ging nicht. Ein grässliches Gefasel, und die Melodien sind zwar hübsch und schlicht in ihrer Einfachheit, um nicht zu sagen Primitivität, aber eben nicht das, was meine Zuhörer erwarten. Hast du vielleicht was Neues geschrieben, Rittersporn? Irgendwie hab ich nicht davon gehört.«
»Kein Wunder«, seufzte der Barde. »Meine Balladen singe ich an Orten, wo ausschließlich Begabte und Berühmte eingeladen werden, und da kommst du ja nicht hin.«
Essi errötete etwas und blies die Locke beiseite.
»Stimmt«, sagte sie. »In Bordelle komme ich nicht, die Atmosphäre dort wirkt deprimierend auf mich. Du tust mir leid, dass du an solchen Orten singen musst. Aber nun ja, so ist es eben. Wenn man kein Talent hat, meidet man
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