Das Schwert der Vorsehung
was ist denn unvollkommenes Glück?«
Geralt stöhnte dumpf, wie immer, wenn Rittersporn die nächtliche Redseligkeit überkam.
»Unvollkommenes Glück«, fuhr Rittersporn fort, von der eigenen Stimme berauscht, »ist wie ... wie ein unterbrochener Kuss ... Warum knirschst du mit den Zähnen, wenn man fragen darf?«
»Du bist grässlich langweilig, Rittersporn. Nichts als Strohsäcke, Mädchen, Hintern, Titten, unvollkommenes Glück und Küsse, unterbrochen von Hunden, das heißt von den Eltern der diversen Verlobten. Nun ja, offensichtlich kannst du nicht anders. Offensichtlich erlaubt euch nur freizügige Frivolität, um nicht zu sagen wahllose Zügellosigkeit, Balladen zu verfassen, Verse zu dichten und Lieder zu singen. Offensichtlich ist das, notier dir das, die Schattenseite des Talents.«
Er hatte zu viel gesagt, und der Ton war nicht kühl genug gewesen. Und Rittersporn durchschaute ihn leicht und treffsicher.
»Aha«, sagte er ruhig. »Essi Daven, genannt Äuglein. Äugleins hübsches Äuglein hat auf dem Hexer verweilt und ihn in Verwirrung gestürzt. Der Hexer hat sich Äuglein gegenüber verhalten wie der Schuljunge gegenüber der Prinzessin. Und statt sich selber die Schuld zu geben, gibt er sie ihr und sucht Schattenseiten an ihr.«
»Du spinnst, Rittersporn.«
»Nein, mein Lieber. Essi hat Eindruck auf dich gemacht, das kannst du nicht verhehlen. Darin sehe ich übrigens nichts Verwerfliches. Aber pass auf, mach keinen Fehler. Sie ist nicht so, wie du denkst. Wenn ihr Talent Schattenseiten hat, dann gewiss nicht die, die du dir vorstellst.«
»Ich nehme an«, sagte der Hexer, und diesmal hatte er seine Stimme unter Kontrolle, »dass du sie sehr gut kennst.«
»Recht gut. Aber nicht so, wie du denkst. So nicht.«
»Ziemlich originell für dich, wirst du zugeben.«
»Du bist dumm.« Der Barde drehte sich herum, legte beide Hände unter den Kopf. »Ich kenne Püppchen fast von Kindheit an. Sie ist für mich ... na ... wie eine kleine Schwester. Ich wiederhole, begeh ihr gegenüber keine Dummheit. Damit würdest du ihr sehr wehtun, denn auch du hast Eindruck auf sie gemacht. Gib zu, du hast Lust auf sie?«
»Sogar wenn, pflege ich doch im Gegensatz zu dir nicht drüber zu diskutieren«, sagte Geralt scharf. »Noch Liedchen darüber zu verfassen. Ich danke dir für das, was du über sie gesagt hast, denn vielleicht hast du mich in der Tat vor einer Dummheit bewahrt. Aber Schluss damit. Ich betrachte das Thema als erschöpft.«
Rittersporn lag eine Weile reglos und schwieg, doch Geralt kannte ihn zu gut.
»Ich weiß«, sagte der Dichter schließlich. »Ich weiß schon alles.«
»Einen Scheißdreck weißt du, Rittersporn.«
»Weißt du, worin dein Problem besteht, Geralt? Dir scheint es, als seist du anders. Du schleppst dieses Anderssein mit dir herum, das, was du für Abnormität hältst. Du bürdest dir diese Abnormität selber auf, ohne zu verstehen, dass du für die meisten Leute, die vernünftig denken, stinknormal bist und man wünschte, alle wären so normal. Was bedeutet es schon, dass du eine schnellere Reaktion hast und in der Sonne eine punktförmige Pupille? Dass du im Dunkeln wie eine Katze siehst? Dass du dich auf Zauberei verstehst? Auch was. Ich, mein Lieber, kannte mal einen Herbergswirt, der zehn Minuten lang ohne Unterbrechung laute Furze lassen konnte, und zwar derart, dass sie die Melodie des Psalms ›Sei gegrüßt, du lieber früher Morgen‹ ergaben. Ungeachtet dieses ungewöhnlichen Talents, aber eben doch Talents, war dieser Wirt der Allernormalste, er hatte eine Frau, Kinder und eine gelähmte Großmutter ...«
»Was hat das alles mit Essi Daven zu tun? Kannst du das erklären?«
»Natürlich. Du bildest dir ohne Grund ein, dass sich Äuglein aus ungesunder, geradezu perverser Neugier heraus für dich interessiert, dass sie dich betrachtet wie ein Wundertier, ein zweiköpfiges Kalb oder einen Salamander in der Menagerie. Und sofort warst du eingeschnappt, hast ihr bei der ersten Gelegenheit einen Hieb zurückgegeben, den sie gar nicht ausgeteilt hatte. Dabei war ich ja zugegen. Nicht mehr zugegen war ich bei den folgenden Ereignissen, aber ich habe eure Flucht aus dem Saal bemerkt und ihre geröteten Wangen gesehen, als ihr zurückkamt. Ja, Geralt. Ich warne dich hier vor einer Dummheit, dabei hast du sie schon gemacht. Du wolltest dich an ihr für die vermeintlich ungesunde Neugier rächen. Du hast beschlossen, diese Neugier auszunutzen.«
»Ich wiederhole, du
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