Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
bewegen, dass sie gar nicht auf die Idee gekommen war, diese Soldaten könnten anders sein. Eigentlich war es nur logisch, nur hatte sie einfach nie darüber nachgedacht.
Sogar jetzt, im Dunkeln, verströmten die unzähligen Lagerfeuer eine gewisse Helligkeit, sodass sie erwartete, sofort im Mittelpunkt eines völlig überzogenen, krankhaften Interesses zu stehen und von den Soldaten, in dem Versuch, sie zu schockieren, zu demütigen oder ihr Angst zu machen, mit den unflätigsten Ausdrücken überhäuft zu werden, die ihnen in den Sinn kamen. Im Lager der Imperialen Ordnung war es gang und gäbe, dass man sie mit spöttischem Gejohle und Gebrüll, mit obszönen Gesten und schallendem Gelächter begrüßte, sobald sie sich unter ihnen bewegte.
Gewiss, auch diese Männer drehten die Köpfe in ihre Richtung. Nicci vermutete, dass sie nur selten das Vergnügen hatten, eine Frau wie sie in ihr Lager reiten zu sehen. Aber bei den Blicken blieb es. Ein flüchtiges Drehen des Kopfes, ein staunendes Gesicht, da und dort ein Lächeln, begleitet von einem kurzen Nicken zur Begrüßung, das war auch schon das Äußerste, was man ihr entgegenbrachte. Vielleicht lag es daran, dass sie an der Seite des Lord Rahl und einer Mord-Sith in rotem Lederanzug ritt, doch eigentlich mochte Nicci das nicht glauben. Diese Männer waren einfach anders; von ihnen wurde erwartet, dass sie sich respektvoll benahmen.
Wo immer die Soldaten Richard erblickten, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als voller Stolz aufzuspringen oder eine Weile neben seinem Pferd herzutraben und mit einem Faustschlag auf ihr Herz zu salutieren. Sie schienen geradezu überwältigt vor Freude, ihn in ihr Feldlager reiten zu sehen, ihren Lord Rahl endlich wieder in ihren Reihen begrüßen zu können.
Auch das Lager selbst machte einen aufgeräumteren Eindruck, wobei diesem Umstand gewiss die Trockenheit zugute kam. Es gab kaum etwas Scheußlicheres als ein Armeelager bei feuchter Witterung. In diesem Lager waren die Tiere auf jene Bereiche beschränkt, in denen sie nicht unabsichtlich Anlass zu Verdruss geben konnten, und auch die Wagen standen abseits der zentralen Lagerstraße. Ja, es gab tatsächlich ganz bewusst und planvoll angelegte Wege durch das Lager.
Obwohl die Männer vom langen Marsch erschöpft aussahen, waren ihre Zelte in geordneter Manier errichtet worden – und nicht auf jene beliebige, jeden sich selbst überlassende Art, wie das bei der Imperialen Ordnung üblich war. Die Lagerfeuer prasselten bescheiden und erfüllten einfach ihren Zweck – im Gegensatz zu den riesigen Freudenfeuern, die den Mittelpunkt betrunkener Gelage aus tanzenden, singenden und krakeelenden Männern bildeten.
Der andere entscheidende Unterschied bestand darin, dass nirgendwo Folterzelte aufgestellt waren. Bei der Imperialen Ordnung gab es stets einen operativen, den Folterungen vorbehaltenen Bereich, dem ein steter Strom von Menschen zugeführt wurde, um dort verhört zu werden, während ein nicht minder großer Strom von Leichen diesen Bereich wieder verließ. Das niemals abreißende Gebrüll der Opfer trug dazu bei, dass es im Lager überaus geräuschvoll zuging.
Und dies war der zweite große Unterschied: Es herrschte relative Ruhe. Die Soldaten beendeten ihr abendliches Mahl und begaben sich zur Nachtruhe. Es war ein Augenblick friedlicher Stille, wie es ihn im Lager der Imperialen Ordnung zu keiner Zeit gab.
»Dort drüben.« Mit erhobenem Arm wies einer der Männer aus ihrer Eskorte auf die im Dunkeln liegenden Kommandozelte. Aus einem davon trat soeben ein groß gewachsener blonder Offizier, offenbar nachdem er Pferde in der Nähe gehört hatte. Zweifellos hatte man ihn bereits davon unterrichtet, dass der Lord Rahl sich auf dem Weg zu ihm befand.
Richard schwang sich aus dem Sattel und konnte mit knapper Not verhindern, dass der Mann sich auf die Knie fallen ließ, um eine Andacht zu sprechen.
»Es tut gut, Euch wiederzusehen, General Meiffert, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.«
Er verneigte sich kurz. »Ganz, wie Ihr wünscht, Lord Rahl.«
Nicci war nicht entgangen, dass die blauen Augen des Generals kurz zu Cara hinüberzuckten, als diese neben Richard trat.
Er strich sich das blonde Haar aus der Stirn. »Herrin Cara.«
»General.«
Unwirsch sagte Richard: »Das Leben ist zu kurz, um so zu tun, als ob Ihr zwei nichts füreinander empfindet. Ihr solltet Euch stattdessen lieber klar machen, dass jeder gemeinsame Augenblick, der Euch vergönnt ist,
Weitere Kostenlose Bücher