Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
benommen, und seine Gedanken waren so düster und bedrückend wie die diesige Nacht. Alles, was er kannte und was ihm am Herzen lag, schien sich in seine Bestandteile aufzulösen. Er fühlte sich hilflos.
Der feuchtwarme Dunst verdunkelte die Sterne, und der Mond war noch nicht aufgegangen, aber die überall in der Stadt brennenden Lichter, deren Widerschein vom Dunst zurückgeworfen wurde, spendeten genug Helligkeit, sodass er sich bis zum Rand des Hanges vorwagen konnte. Cara nicht helfen zu können – das gab ihm ein übermächtiges Gefühl von Nutzlosigkeit. Unzählige Male war sie zur Stelle gewesen und hatte ihm geholfen, und nun war sie mit etwas konfrontiert worden, das ganz offenkundig ihre Kräfte überforderte.
Er blieb eine Weile am Rand des Abhangs stehen und starrte hinüber zu der fernen Statue Seele . Den Ring aus Eisenhalterungen, in denen die Fackeln steckten, hatte Victor angefertigt. Kahlan war von den einzelnen Arbeitsgängen fasziniert gewesen und hatte damals fast einen vollen Tag in der erdrückenden Hitze der Schmiedewerkstatt gestanden und ihm beim Formen des weiß glühenden Eisens zugeschaut. Victor hatte an besagtem Tag nicht ein einziges Mal missbilligend das Gesicht verzogen, im Gegenteil, er hatte sich über ihr aufrichtiges Interesse gefreut und ihr gezeigt, wie man das Metall bearbeiten musste, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.
Nicht minder deutlich war ihm Kahlans Ergriffenheit im Gedächtnis geblieben, als sie dabei zugesehen hatte, wie die kleine Schnitzerei von ihr in sich emportürmendem weißem Marmor nachgebildet wurde.
Dass ihm jetzt niemand mehr Glauben schenkte, wenn es um Kahlan ging, gab ihm ein Gefühl von Einsamkeit und völliger Isolation. Er hatte sich noch nie zuvor in einer vergleichbaren Situation befunden, wo die Menschen – Menschen, denen aufrichtig etwas an ihm lag – glaubten, er bilde sich die Dinge nur ein, von denen er ihnen erzählte. Erleben zu müssen, dass die Menschen glaubten, er hätte den Kontakt zur Wirklichkeit verloren, war ein beängstigendes, hilfloses Gefühl.
Doch nicht einmal das war auch nur annähernd so beängstigend wie seine Besorgnis, was Kahlan zugestoßen sein mochte …
Nach einer Weile kehrte er zum Gasthaus zurück. Jamila stand unten an der Treppe und fegte Staub und Brocken des Wandverputzes zusammen.
Als er das Haus betrat, beäugte sie ihn von Kopf bis Fuß. »Dafür werdet Ihr wohl zahlen müssen.«
»Was soll das heißen?«
Sie deutete mit dem Besenstiel nach oben. »Na, für den Schaden. Ich hab mir die Zimmer oben angesehen. Die Reparatur müsst Ihr bezahlen.«
Richard war verblüfft. »Aber ich habe doch überhaupt nichts getan.«
»Aber es ist Eure Schuld.«
»Meine Schuld? Ich war auf meinem Zimmer. Ich habe den Schaden weder verursacht, noch weiß ich, was ihn verursacht haben könnte.«
»Ihr und diese Frau wart die beiden einzigen Gäste in den Zimmern oben. Bei Euerm Einzug waren die Zimmer in tadellosem Zustand, und jetzt herrscht dort das blanke Chaos. Es wird Euch eine hübsche Stange kosten, sie wieder herzurichten. Warum sollte ich dafür aufkommen? Der Schaden geht auf Euer Konto, also müsst Ihr auch dafür gerade stehen – dafür und für den Mietausfall während der Reparaturarbeiten.«
Sie hatte sich nicht mal nach Caras Befinden erkundigt oder ihre Sorge um sie zum Ausdruck gebracht, ehe sie das Geld für die Reparatur der Zimmer verlangte.
»Ich werde Ishaq die Erlaubnis geben, die Kosten von dem Betrag abzuziehen, den er mir schuldet.« Richard funkelte die Frau wütend an.
Er schob sie zur Seite und trat an ihr vorbei in den dunklen Flur, während sie sich mit einem beleidigten Schnauben, das offenbar ihm galt, wieder mit dem Besen an die Arbeit machte. Da er nicht wusste, wohin mit sich, lief er in der engen Empfangshalle langsam auf und ab. Schließlich war Jamila mit dem Zusammenfegen des Schutts aus dem ersten Stock fertig und trollte sich zu irgendeiner anderen Arbeit. Er lief noch immer auf und ab. Unschlüssig, wohin er gehen oder was er tun sollte, setzte er sich zu guter Letzt, den Rücken gegenüber von Niccis Zimmertür an die Wand gelehnt, auf den Fußboden. Er hatte nur einen Wunsch: Er wollte Cara sehen.
In gewisser Hinsicht hatte Jamila Recht, überlegte er dann. Hätte er nicht hier Quartier genommen, wäre das Ganze sicher nicht passiert. Und wenn außer ihm jemand verletzt oder gar getötet worden wäre, hätte er sich tatsächlich schuldig gemacht, denn
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