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Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert des Königs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Bledsoe
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hinüber, denn ich war neugierig, welche
Dinge er der Pferdegottheit opferte, die er offenbar verehrte.
    Ich hätte es wissen müssen: Die größte Ikone bestand aus einem Pferdeschädel, den ein goldener Pfeil durchbohrte. Ringsum deuteten scheußliche, mit Stacheln besetzte und mit getrocknetem Pferdeblut überzogene Räder die vier Himmelsrichtungen an. Wo normalerweise ein Messer für Zeremonien bereitlag, befand sich eine Reitgerte. Der Hass des Zwerges schloss sogar seine Religion mit ein. Falsch: Dieser Hass war zu seiner Religion geworden.
    Während ich vor dem Altar stand, ging quietschend eine Tür in meinem Rücken auf, sodass ich erstarrte. Auf der polierten Oberfläche eines Kelchs, der offenbar für Rituale genutzt wurde, spiegelte sich eine gedrungene, pelzige Silhouette, die mir bis zur Taille reichen mochte. Das Geschöpf hatte einen spitz zulaufenden Kopf, breite Schultern und lange Arme.
    Ich hatte ein Messer im Ärmel – die Waffe, die ich, wenn es eilte, am leichtesten ziehen konnte. Aber das tat ich nicht. Stattdessen drehte ich mich langsam um und achtete darauf, dieses unbekannte Wesen nicht durch plötzliche Bewegungen zu erschrecken.
    Das Licht war zu schwach, als dass ich irgendwelche Einzelheiten ausmachen konnte, aber was da völlig still vor der Tür stand, war unverkennbar ein Tier, das zur Gattung der Affen gehörte. In der Stille konnte ich es atmen hören. Da ich mich mit Affen nicht auskannte, wusste ich nicht, wie ich mich jetzt am besten verhalten sollte: nicht von der Stelle rühren, Lärm machen, einen Angriff vortäuschen oder mich zu Boden fallen lassen und meinen Kopf schützen? Ich blieb einfach stehen.
    Lange Zeit rührte sich keiner von uns beiden, bis der Affe schließlich vorwärts schlurfte. Wenn ich auch kein Fachmann war, was das Verhalten von Gorillas, Schimpansen und ihren Artgenossen betraf: Niemals hätte ein Affe sich so bewegen können. »Wirklich sehr komisch«, sagte ich und verschränkte die Arme.
    Der Zwerg lachte. Da das Affenkostüm den größten Teil seines Gesichts freiließ, sah ich, dass er breit grinste. »Konnte mir’s nicht verkneifen«, sagte er. »Ich liebe diese Verkleidung.« Er schob die Pelzkapuze zurück und beugte den Kopf so weit zur Seite, dass er sich mit den Affenhänden das Haar glätten konnte.
    So nah und im Kerzenlicht sah er jünger aus als aus der Ferne. Seine Gesichtszüge wirkten normal, sogar freundlich. Doch mich konnte er nicht täuschen.
    »Wollte mir eigentlich einen Anzug ähnlich wie diesen anfertigen lassen, der mir normale menschliche Proportionen verliehen hätte, aber das schaffen die Schneider noch nicht. Also musste ich mich mit diesem Schimpansenkostüm begnügen. Ist allerdings nützlicher, als du annehmen würdest.«
    »Und läufst du zu Hause oft darin herum?«
    »Nein, ich habe das Kostüm jetzt nur angezogen, weil ich die Kerzen anzünden wollte. Mit den eigenen Händen klappt das nämlich nicht.« Ich hörte das leise Quietschen von Kabeln und Drähten: Die künstlichen Hände umfassten eine große brennende Altarkerze und entzündeten damit weitere Kerzen.
    »Du hast es also bis in mein Haus geschafft«, fuhr er fort. »Hast meinen Grund und Boden widerrechtlich betreten und, da du nun mal da warst, draußen auch noch
zwei Freunde von mir umgebracht. Ich nehme an, du bist nicht gekommen, um für wohltätige Zwecke zu sammeln.«
    »Ich habe nur einen deiner Freunde getötet. Und auch das kann ich mir nur zur Hälfte als mein Verdienst anrechnen.«
    Er tat es mit einer Bewegung der künstlichen Arme ab. »Spielt sowieso keine Rolle. Canino war nützlich, aber solche Leute kommen und gehen. Wird bald schon irgendein anderer auftauchen, um seinen Platz einzunehmen.«
    Offenbar war er jetzt mit der Beleuchtung zufrieden, denn nachdem er ein letztes Mal an der großen Wachskerze im Altarleuchter geschnuppert hatte, wand er sich aus dem Affenkostüm, das aufgrund seines Drahtgerippes von selbst aufrecht stand. Er kam mir vor wie ein Insekt, das aus seinem Kokon geschlüpft ist. Das Einzige, was er trug, war ein lockeres, seinem missgestalteten Körper angepasstes Hemd. Als ich ihn so vor mir sah, fiel mir wieder ein, was mir Epona Grau über ihre Rache an dem unglückseligen Seemann Andras Reese erzählt hatte: Habe ihm jeden einzelnen Knochen in Armen und Beinen gebrochen und sie ihm danach in den Rumpf gestoßen. Habe ihn in menschliches Treibgut verwandelt und zurück ins Meer geworfen. Diesem Mann nahm ich

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