Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
verstaute die Armbrust und trat leise ins Dunkle. Die Tür, durch die der Zwerg ins Haus gegangen war, stand immer noch offen, aber nirgendwo da drinnen war Licht zu sehen. Ich lauschte angestrengt, da ich nicht glauben konnte, dass sich dieses kleine Ungeheuer völlig allein in dem riesigen Gebäude befand. Wo waren seine Leibwächter oder andere Grobiane vom Schlag Caninos? Fühlte sich der Zwerg wirklich so sicher?
Wenn ich weiter wie der Ochs vor dem Berg auf der Terrasse stehen blieb, würde ich es wohl niemals erfahren. Kein Mensch tauchte auf, um nach Canino zu sehen, niemand rührte sich da drinnen. Schließlich schlich ich durch die offene Tür ins Empfangszimmer und wartete ab, bis sich meine Augen so an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dass ich nicht über irgendwelche Möbel stolpern würde. Das Licht, das von den Fackeln auf der Terrasse hereindrang, spiegelte sich in einem prachtvollen Kronleuchter. Er hing über einem eleganten Esstisch, der in Längsrichtung zur Tür stand. Vor den Wänden entdeckte
ich üppig gepolsterte Sofas und neben jedem einen kleinen Schemel, damit der Zwerg hinaufsteigen konnte.
Riesige Gemälde nahmen die Wände ein, und alle zeigten das gleiche Motiv: Pferde im Todeskampf. Manche waren dabei zu ertrinken, andere verbrannten bei lebendigem Leib, einige waren von einem Ritt zu Tode erschöpft. Das Thema wiederholte sich ständig, nicht aber der Stil, in dem die Szenen ausgeführt waren. Die Handschrift einiger Künstler erkannte ich wieder – sie waren berühmte Meister aus aller Welt – und war beeindruckt von den finanziellen Möglichkeiten des Zwergs, wenn auch nicht von seinem Geschmack. Ein Original des Malers Finkelmann musste ein Vermögen kosten.
Im vorderen Teil des Zimmers führte eine imposante Treppe in die höher liegenden Stockwerke und beschrieb dabei einen eleganten Bogen um das ganze Empfangszimmer. Diese Treppe gab mir Rätsel auf, bis ich bemerkte, dass an ihrem Rand eine stufenlose Rampe bis nach oben verlief. Das also war der Grund, dass die Treppe nur sacht und in weitem Bogen anstieg: Der Zwerg konnte selbstverständlich keine Stufen erklimmen und brauchte dieses Hilfsmittel.
Während ich leise hinaufging, lauschte ich auf irgendeine Bewegung, doch im Haus war es totenstill – so still, dass ich sogar das Wasser im Schwimmbecken plätschern hörte, hin und wieder auch das Knistern und Knacken der Fackeln auf der Terrasse. Die Treppe ächzte zwar nicht, doch ich spürte, wie die Stufen sich unter meinem Gewicht hoben und senkten, und befürchtete, das könne mich verraten.
Schließlich erreichte ich den Treppenabsatz des ersten
Stockes. Zu meiner Rechten führte ein Gang ins Dunkle, doch zu meiner Linken sah ich dasselbe schwache Licht schimmern, das mir schon draußen aufgefallen war. Es drang unter einer Tür hindurch, die auf halber Strecke des Ganges lag. Da sich mir kein anderes Ziel anbot, schlich ich, an mehreren geschlossenen Zimmern vorbei, darauf zu.
Vor der Tür blieb ich stehen. Da ich keine Ahnung hatte, was mich in diesem Zimmer erwartete, konnte ich mich auf nichts vorbereiten. Ich konnte nur hoffen, dass alle Spuren und Hinweise, die mich bis hierher gebracht hatten, mir auch jetzt weiterhelfen würden. Und nicht nur mir, sondern auch meinem besten Freund und seiner Frau. Also trat ich ein.
FÜNFUNDZWANZIG
U nverzüglich hüllte mich der Duft von Weihrauch ein. Als ich die Tür hinter mir schloss, quietschten deren Angeln – in dieser Stille ein so lautes Geräusch, dass ich zusammenzuckte. Langsam ließ ich den Blick durch das Zimmer schweifen.
Die Quelle des schwachen Lichts bildete ein Dutzend zierlicher Kerzen, das auf einem winzigen Altar brannte. Die Szenerie erinnerte mich an den Altar im Bergwerk von Poy Sippi, vor dem das kleine Mädchen gebetet hatte. Die Tische und Regale waren mit seltsamen Gegenständen übersät, manche lehnten auch an der Wand. Jeder davon hatte irgendwie mit Pferden zu tun, allerdings nicht nur mit gewöhnlichen Pferden: Ich sah auch Darstellungen von Einhörnern und Hengsten mit ausgebreiteten Flügeln. Neben Skulpturen entdeckte ich ausgestopfte Teile von Pferdekörpern, so sorgfältig konserviert, wie es manche Menschen mit geliebten Haustieren machen oder einer Jagdbeute, auf die sie besonders stolz sind.
Systematisch suchte ich mit den Augen den ganzen Raum ab, denn der Zwerg war so klein, dass sich ihm hier jede Menge Versteckmöglichkeiten boten. Schließlich ging ich zum Altar
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