Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
Welt außerhalb meines umnebelten Kopfes zurückzufinden. Noch immer zitternd legte ich mich nackt auf den Fußboden vor dem brennenden Kamin und ging im Geiste
noch einmal die Ereignisse der Nacht durch. Das war keineswegs angenehm, aber ich wusste, die Erinnerung daran würde mich irgendwann wie aus heiterem Himmel überfallen, wenn ich das blutige Geschehen jetzt zu verdrängen versuchte. Oder wenn ich die Geschichte geistig einfach umschrieb, so wie ich es bei Janettes Tod getan hatte. Ich konnte und wollte mich selbst nicht mehr belügen.
Irgendwann schlief ich ein. Anfangs vermischten sich meine Träume von Janettes furchtbarem Tod mit dem, was ich im Herrenhaus des Zwergs getan hatte, doch plötzlich verschwand all das, und ich fand mich vor Epona Graus Kate wieder. Die Sonne strahlte, und Vögel mit buntem Gefieder flatterten umher, wobei sie Spuren schimmernder Funken zurückließen. Dann ging die Tür auf, und Epona, die umwerfend schön aussah, trat heraus. Ihr dunkles Haar glänzte und fiel ihr locker über den Rücken; ihre Haut schien zu leuchten. Sie war barfuß und trug ein fließendes, tief ausgeschnittenes Gewand. Ihre Augen blitzten vor Belustigung, als sie die Arme verschränkte und sich gegen den Türrahmen lehnte. »Also hast du’s herausgefunden.«
»Ja.«
»Keine von uns beiden hat gelogen.«
»Ich weiß.«
»Und du glaubst es jetzt?«
Ein Gefühl, das ich nicht fassen konnte, überwältigte mich so sehr, dass mein Blick vor Tränen verschwamm. »Ja, ich glaube es, glaube dir. Glaube an dich.«
Sie lachte, aber es klang liebevoll. »Werde jetzt nur nicht rührselig, was mich betrifft. Du hast noch viel Arbeit vor dir. Aber du hast die dunkelsten Dinge in dir besiegt, und
dafür verdienst du eine Ruhepause. Also nimm das hier als Geschenk.«
Drei der schimmernden Vögel flogen herbei und schwebten wie Kolibris vor mir in der Luft. Als ich meine Hand ausstreckte, kam einer davon vorsichtig näher, stupste mich mit seinem winzigen Schnabel an und ließ sich schließlich auf meiner Handfläche nieder. Sofort fühlte ich mich so unbeschwert, jung und glücklich wie nie zuvor. Das ganze Gewicht der Schuldgefühle, Selbstzweifel und Reue fiel von mir ab. Ich glaube, ich jauchzte sogar auf – was der Grund dafür sein mochte, dass ich gleich darauf aufwachte.
Der Sonnenstand verriet mir, dass es schon früher Nachmittag sein musste. Als ich mich aus meiner Fötushaltung löste und streckte, knackten die Gelenke, und alle Muskeln taten mir weh. Mittlerweile hatte das Feuer sein Werk getan und alle Dinge verzehrt, die mich hätten belasten können. Es glühten nur noch ein paar Holzreste im Kamin, die ich schnell verteilte, damit sie von selbst erloschen. Danach goss ich Wasser in die Waschschüssel, um mich gründlich zu säubern.
Während ich mein Spiegelbild musterte – das eines bleichen, immer noch aufgewühlten Mannes –, fand ich mich damit ab, dass dieser Mann tatsächlich für all das verantwortlich war, was er in seinem Leben getan hatte. Endlich war ich von dem Gewicht lebenslanger Selbsttäuschung befreit. War der Zaubervogel in meinem Traum eine mir von Epona geschickte Vision gewesen? Oder hatte mein Verstand mich aus der Verzweiflung reißen wollen? Mittlerweile hielt ich alles für möglich.
Nachdem ich mich gewaschen hatte, zog ich saubere
Kleidung und meine Ersatzstiefel an, packte den Rest meiner Habseligkeiten zusammen und bereitete mich auf die Abreise vor. Besonders sorgfältig verstaute ich mein Andenken aus dem Haus des Zwergs, denn es hing schrecklich viel davon ab, dass es seinen Bestimmungsort unversehrt erreichte. Ich hatte mir gerade die Tasche über die Schulter geworfen, da klopfte jemand an die Tür. Noch ehe ich aufmachte, war mir klar, dass es nur Berni sein konnte.
Er trug eine saubere, gebügelte Uniform und war frisch rasiert. »Willst du die Stadt verlassen?«, fragte er mich mit kaltem, geschäftsmäßigem Blick, ehe er auch nur einen Blick auf die Tasche geworfen hatte.
»Dir auch einen schönen guten Morgen«, sagte ich, während ich zur Seite trat, um ihn ins Zimmer zu lassen.
»Es ist bereits Nachmittag«, erwiderte er barsch und schloss die Tür hinter sich. »Weißt du, wo ich die letzten fünf Stunden gewesen bin? Auf dem Brillion-Hügel, um die Morde an Clarence Canino und Gretchen Paltrow zu untersuchen. Irgendein Lieferant hat sie tot auf der hinteren Terrasse gefunden. Die Leute in diesem Stadtteil legen großen Wert auf persönliche
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