Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
Menschen fühlten sich hier so sicher, dass sie manchmal darüber vergaßen, wie viel Blutvergießen es in der Welt jenseits der Mauern immer noch gab.
Außerhalb der Mauern war eine zweite Stadt gewachsen, bevölkert von Kaufleuten und Bauern, die hier ihre Waren feilboten. Sie hielten sich nur zu bestimmten Zeiten
an diesem Ort auf; aber während der Hochzeiten des Marktes, die in zwei Monaten herrschen würden, erreichte die Anzahl der fahrenden Händler fast die der Einwohner in der Kernstadt. Die erste Frühlingsernte war bereits verkauft, bald würde die zweite reif sein.
Die weitläufige Budenstadt erstreckte sich mit einem Durchmesser von mehr als einer Meile rings um die Stadtmauern. Wie bei einer Flussmündung mit Hauptfluss und Nebenläufen verzweigten sich die geraden Straßen zu kleinen Seitengassen, die sich zwischen den Marktständen, Fuhrwerken und Kutschen dieser »zweiten« Hauptstadt hindurchwanden.
Um diese Vorteile der Friedenszeit beneideten uns die angriffslustigeren Königtümer: Arentia war eine starke Wirtschaftsmacht, denn das Land, dessen Reichtum auf der Landwirtschaft und den Manufakturen beruhte, brauchte sein Geld nicht auf Kriegsvorbereitungen oder den Wiederaufbau nach einem Krieg zu verschwenden. Zwar hatte es eine Weile gebraucht, dieses Ziel zu erreichen, doch Arentia war auf diese Weise so etwas wie ein wirtschaftliches Vorbild geworden. Es bewies den anderen Königreichen, dass man nicht unbedingt auf Eroberungen angewiesen ist, um zu Wohlstand zu kommen.
Dennoch war das Land durchaus in der Lage, sich erfolgreich zu verteidigen – da brauchte man nur die Königin von Schawano zu fragen. Oder, noch besser, einige der wenigen Überlebenden der Schlacht am Froschmaul. Nur hatte Arentia im Laufe der Jahre gelernt, dass die wirtschaftliche Sicherheit mindestens so wichtig ist wie die militärische. Großteils war das dem Mut von Königin Gabriele zu verdanken, der Mutter des großen Königs
Dominik und Großmutter des Mannes, zu dem Anders mich bald bringen würde.
Als wir uns unter die zahlreichen Kaufleute mischten, kehrten meine Gedanken in die Gegenwart zurück. Die Markthändler priesen ihre Waren laut an, hielten das, was sie verhökern wollten, uns vor die Nase. Zumindest Anders sah so aus, als hätte er Geld, und das machte ihn zum Hauptziel ihrer Bemühungen. Höflich lehnte er jedes Angebot ab und verlor, obwohl er ständig bedrängt wurde, niemals die Beherrschung – was mir nicht gelungen wäre. Die Menschen, die mir etwas andrehen wollten, starrte ich nur böse an. Nur wenige waren Einheimische, und ihre Waren entweder minderwertig oder ins Land geschmuggelt.
Hier herrschte ein so lebhaftes Treiben, dass mein gestohlener Gaul immer unruhiger wurde. Als wir endlich bei dem großen Stadttor ankamen, verhielt sich die Stute so ungebärdig, dass ich sie kaum noch zügeln konnte. »Ist eben ein Landpferd«, bemerkte Anders verächtlich.
»Leider hatte ich keine Zeit, die Angebote an Pferden zu vergleichen«, gab ich zurück. Ehrlich gesagt war es mit meinen Pferdekenntnissen genau wie mit der Reitkunst noch niemals weit her gewesen, was mein Vater stets peinlich und alle anderen sehr komisch gefunden hatten. Deshalb hielt ich mir ja auch keines dieser mir unheimlichen Geschöpfe.
Innerhalb der Stadtmauern lebten die wirtschaftlich und gesellschaftlich Bessergestellten. Wer es sich leisten konnte, in der Stadt zu wohnen, konnte sich auch sonst das Beste von allem leisten – und fand es hier. Die Läden und Händler, die sich in der Stadt niedergelassen hatten,
verkauften überteuerten Schmuck, Pelze, Leder und kunstvoll eingefärbtes Tuch. Die Kaufmannsfrauen kleideten sich wie Kurtisanen, und die Kurtisanen machten jede alberne Mode mit. Die Adligen und ihr Gefolge schlenderten zwischen all diesen Herrlichkeiten umher und ließen sich zwischen ihren Einkäufen von schmucken Kutschen befördern.
Unter all diesen Menschen fiel Anders nicht auf, ich aber schon. Vermutlich hielten sie mich für seinen frisch eingestellten Diener, den man erst noch entlausen musste, um ihm danach die Benimmregeln beizubringen.
Ich spürte, dass in vielen Gesprächen ein unangenehmer Unterton mitschwang, und sah, dass an den Straßenecken mehr Soldaten als üblich postiert waren. Zusätzlich patrouillierten einige auf der Brustwehr der Stadtmauer. In Anbetracht der Nachricht, die ich erhalten hatte, wunderte ich mich nicht darüber. Auch nicht darüber, dass ein Hauptmann der
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