Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
glaube nicht, dass …«
»Ich kann nicht zulassen, dass jemand das Grab meines Sohnes entweiht«, blaffte Phil Wentrobe an. »Wenn ich es tue, weiß ich wenigstens, dass es mit Achtung vor dem Toten geschieht.«
Er stand auf und holte tief Luft. »Was genau erwartest du dort zu finden?«
»Den letzten Teil vom Rahmen des Geschehens«, erwiderte ich. Ich wollte Phil im Moment noch nicht vollständig einweihen. »Und wenn ich den gefunden habe, kann ich mir vielleicht ein Gesamtbild machen.«
ACHT
D ie Gräber der Königlichen Familie von Arentia befanden sich in einer Krypta tief unten im Palast. Wir brachen erst in der Nacht auf, um unser ungeheuerliches Vorhaben möglichst geheim zu halten. Während wir die steinerne Wendeltreppe hinunterstiegen, wurde die Luft merklich kühler und feuchter. Sofort meldete sich die mir angeborene Angst vor engen geschlossenen Räumen, und ich begann trotz der eiskalten Luft wie ein Schwein zu schwitzen.
Als Phil es bemerkte, grinste er. »Du hast doch nicht etwa Angst vor der Dunkelheit?« Mit der Frotzelei versuchte er die Emotionen zu überspielen, die ihm innerlich zu schaffen machten, so viel war mir klar.
»Nein, ich hab nur Angst davor, dass mir dieses marode Gebäude auf den Kopf fällt«, gab ich zurück. »Ist dir eigentlich bekannt, dass sich manche Könige funkelnagelneue Paläste errichten lassen?«
»He, weißt du noch, wie du dich hier hinuntergeschlichen hast, weil du dachtest, Tascha Gent würde unten auf dich warten?«
»Oh ja, wie könnte ich das je vergessen. Diese Rechnung ist zwischen uns immer noch offen!« Phil hatte mir damals erzählt, Tascha, ein dralles junges Mädchen, das in
der Steuerbehörde des Königreichs arbeitete, sei in mich verknallt. Ich konnte es kaum fassen, denn sie war sechs Jahre älter als ich. In einem Brief teilte sie mir mit, sie werde zu einer bestimmten Zeit in den Katakomben auf mich warten. Beigefügt war eine Karte, in der sie den Treffpunkt eingezeichnet hatte.
Damals steuerte mich eher der Schwanz als der Kopf, also eilte ich voller Vorfreude zu den Katakomben, hielt mich an die Karte und landete in einem stillgelegten Gang, der nirgendwohin führte. Als ich versuchte, meinen Weg zurückzuverfolgen, um nach draußen zu gelangen, musste ich feststellen, dass Phil ihn mit einer Mauer blockiert hatte. Natürlich wusste ich damals nicht, dass sie nur aus Pappmaschee bestand. Ich schwöre, dass ich damals mein erstes graues Haar bekam. Bis Phil mich endlich herausließ, kreischte ich wie ein verängstigtes Mädchen.
Schließlich gelangten Phil und ich zu einem etwa zehn Fuß hohen Tor aus Eisenstangen, in dessen Mitte ein Schloss eingelassen war. Als der Schein unserer Fackeln den dahinter liegenden Raum erfasste, fiel mein Blick auf die erste Reihe der alten Königsgräber.
Phil steckte den Schlüssel ins Schloss, hielt jedoch kurz inne, bevor er ihn herumdrehte. »Hast du eigentlich Kinder, Eddie?«
»Nein.«
»Es verändert die eigene Weltsicht. Aller Egoismus findet ein Ende, man lebt dann für die Kinder.« Er holte tief Luft. »Das kann ich keinem anderen anvertrauen. Ich weiß einfach nicht, wie ich als Vater damit leben soll, dass
mein Sohn früher als ich gestorben ist. Und dann noch auf diese Weise.«
»Könnte ich dir nur helfen!«, murmelte ich. Noch wollte ich nicht herauslassen, was ich vermutete, auch wenn es ihn vorübergehend ein bisschen erleichtert hätte. Denn falls sich herausstellte, dass ich unrecht hatte, würde sein Kummer noch schlimmer werden.
»Ich habe meiner Frau völlig vertraut«, fuhr er fort. »In allen Dingen. Habe ihr Staatsgeheimnisse und persönliche Geheimnisse anvertraut – Dinge, die ich niemandem sonst erzählt hätte. Schließlich war sie ja die Mutter meines Kindes. Wenn ich mich so sehr in ihr getäuscht habe … Wie soll ich dann je wieder dem eigenen Urteilsvermögen trauen? Und wie kann ich dann von irgendeinem anderen erwarten, dass er meinem Urteilsvermögen vertraut?«
»Die Dinge sind nicht immer so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen«, erwiderte ich, um ihn zu beruhigen, und ging dabei so weit, wie ich es zu diesem Zeitpunkt verantworten konnte. »Komm schon, bringen wir’s hinter uns. Und danach können wir uns betrinken.«
Das Tor knarrte, wie man es von Eingängen zu Mausoleen erwarten kann. Zusammen mit Phil ging ich an den Gebeinen seiner Vorfahren entlang, bis wir zu den jüngsten Grabstätten gelangten. Dort blieb Phil vor einer Grabplatte
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