Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
denn jemand erzürnt?«
»Nicht dass ich wüsste. Für ein Königspaar führen wir ein sehr ruhiges Leben. Und ich beteilige mich eigentlich gar nicht an Regierungsangelegenheiten. Ich kümmere mich eher um die Beziehungen zur Öffentlichkeit.« Sie lächelte, aber ihre Augen blickten weiterhin traurig. »In Arentia hat man Schulen nach mir benannt, wusstet Ihr das? Aber jetzt wird man ihnen wohl neue Namen geben.«
Wenn das, was sie sagte, aufrichtig war und etwas von ihrem wahren Wesen offenbarte, stand ich vor einem Rätsel. Es kam mir vor, als hätte sie im Unterschied zu jedem anderen Menschen auf der Welt nie gelernt, ihre Gefühle zu kaschieren. Alles, was sie empfand, brach so klar und rein aus ihr heraus wie Sonnenschein nach einem Sommerregen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen dabei, sie in dieser Weise zu verhören, fast so, als würde ich nach einem Hündchen treten. Und das ärgerte mich. Falls sie tatsächlich Epona Grau war, war sie sehr gut darin, mich wider mein besseres Wissen zu umgarnen.
»Dann probieren wir am besten etwas anderes aus. Gehen wir zurück zu dem Abend des … äh … Vorfalls.
Warum habt Ihr dreißig Minuten vom Speisesaal bis zum Kinderzimmer gebraucht?«
Sie blinzelte verblüfft. »Dreißig Minuten? Hat es wirklich so lange gedauert?«
»Einige Leute wussten noch, wann Ihr von der Tafel aufgestanden seid, andere, wann Ihr im Kinderzimmer angekommen seid. Ich müsste schon im Schneckentempo kriechen, um so lange für diese Strecke zu brauchen. Was hat Euch aufgehalten?«
»Ich weiß es nicht.« Sie wirkte ehrlich überrascht über die lange Zeitspanne.
»Ist irgendetwas Ungewöhnliches passiert? Hat Euch jemand angesprochen, ein Gespräch mit Euch begonnen oder etwas dieser Art?«
»Nein. Soweit ich mich erinnere, bin ich auf direktem Weg zum Kinderzimmer gegangen. Aber Ihr habt recht, das kann unmöglich so lange gedauert haben.«
Jetzt übertrieb sie es mit ihrer Aufrichtigkeit. Es wirkte zwar nur eine Spur überzogen, aber das reichte mir schon, um meine Schlüsse daraus zu ziehen. Diese Frau wusste etwas, das sie mir nicht verraten wollte. Also änderte ich meine Taktik erneut.
»Versteht doch«, sagte ich und ließ meine Arme auf den Knien ruhen. »Ich weiß einfach nicht, was zum Teufel ich in diesem Fall unternehmen soll. Ich möchte Phil helfen, habe aber nichts in der Hand, auf das ich mich stützen könnte. Kein Mensch hegt einen Hass gegen Phil, keiner gegen Euch, warum also sollte irgendjemand all diese Täuschungsmanöver angezettelt haben? Und falls tatsächlich jemand ins Kinderzimmer eingedrungen ist, wieso hat er den Mord am Prinzen nur vorgetäuscht ? Nichts
für ungut, aber warum hat er den kleinen Kerl nicht einfach umgebracht?«
Ich beobachtete sie genau, doch ihr war lediglich Verwirrung anzumerken. »Ich weiß es nicht, Herr LaCrosse«, erwiderte sie mit augenscheinlicher Ehrlichkeit.
Ich lehnte mich zurück – offensichtlich brachte mich das behutsame Vorgehen keinen Schritt weiter. »Ihr lügt mich an!«, sagte ich barsch.
»Ihr haltet mich immer noch für diese Epona Grau, nicht?«
»Ich bin mir nicht sicher. Allerdings bin ich mir sicher, dass irgendetwas Euch Angst einjagt – solche Angst, dass Ihr dafür sogar in Kauf nehmt, von den Menschen als Mörderin verurteilt zu werden, die den eigenen Sohn verzehrt hat.«
»Das wäre doch Wahnsinn«, bemerkte sie, ohne mich anzusehen.
»Wenn Ihr ehrlich mit mir seid, verspreche ich Euch, keinem Menschen etwas von unserer Unterhaltung zu verraten, nicht einmal Phil. Und falls er Euch irgendetwas über mich erzählt hat, werdet Ihr wissen, dass Ihr Euch darauf verlassen könnt. Ich halte mein Wort.«
Sie blickte lange auf ihre nackten Füße und fuhr mit einem ihrer wohlgeformten Zehen gedankenverloren die Kreise auf dem Steinfußboden nach. Schließlich fragte sie: »Helft Ihr Philipp wegen dem, was seiner Schwester zugestoßen ist?«
Epona hatte davon gewusst, aber es war auch gut möglich, dass Phil es seiner Frau erzählt hatte. Wie auch immer sie davon erfahren haben mochte: Ihre Worte waren ein Schlag unter meine Gürtellinie.
»Ich will ihm helfen, weil er mein Freund ist«, presste ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Es reichte mir. Ich stand auf, weil ich diesen Raum jetzt wirklich verlassen und mir einen hinter die Binde kippen wollte. In dieser Reihenfolge.
Als ich nach der Tür griff, rief sie: »Und das war schon alles? Ihr geht?«
Fast hätte ich gelacht.
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