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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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erinnern kann; aber ich will euch, meine Leser, nicht mit einer vollständigen Aufzählung der Truggebilde langweilen, obschon es mir ein leichtes wäre, sie hier zu beschreiben. Keineswegs leicht fällt es mir jedoch, meine Gefühle dazu zum Ausdruck zu bringen.
    Dabei wäre es mir eine große Erleichterung gewesen, hätte ich davon ausgehen können, daß sie alle irgendwie in der Droge enthalten waren, die ich schluckte (wie ich mir schon gedacht hatte und wie ich später erfuhr, als ich jene befragen konnte, welche die Verwundeten des Autarchenheeres pflegten, waren es lediglich die Pilze, die in meinen Salat geschnitten waren), wie auch Theclas Gedanken und Theclas Persönlichkeit, bald tröstlich, bald plagend, in dem Stück ihres Fleisches, das ich bei Vodalus’ Bankett verzehrte, enthalten gewesen waren. Ich wußte aber, daß dem nicht so sein konnte und daß alles, was ich sah, ob lustig, garstig, grausig oder bloß grotesk, meinem eigenen Denken entsprang. Oder dem Geiste Theclas, der nun Teil von mir war.
    Oder vielmehr, wie mir nun im Dunkeln dort zum ersten Mal klar wurde, als ich eine Parade von Hofdamen betrachtete – ungeheuer großwüchsigen Beglückten mit der steifen Anmut kostbaren Porzellans, das Gesicht mit Perlen- oder Diamantenstaub gepudert und die Augen vergrößert durch bestimmte Gifte, die wie auch bei Thecla in winzigen Mengen in der Kindheit eingeträufelt worden waren –, dem Geist entsprungen, der nun in der Gedankenverbindung des ihren und meinen bestand.
    Severian, der Lehrling, der ich gewesen war, der Jüngling, der unter dem Glockenturm gebadet hatte, der einst um ein Haar im Gyoll ertrunken wäre, der sich an Sommertagen allein in der verfallenen Nekropolis herumgetrieben hatte, der am Tiefpunkt seiner Verzweiflung Thecla das Messer zugesteckt hatte, war nicht mehr.
    Nicht tot. Warum hatte er geglaubt, jedes Leben müsse im Tod enden und niemals in etwas anderem? Nicht tot, sondern verschwunden, wie eine einzelne Note verschwindet, um nie wiederzukehren, wenn sie ununterscheidbar und untrennbar Teil einer improvisierten Melodie wird. Dieser junge Severian hatte den Tod gehaßt und war durch die Güte des Increatus, dessen Güte (wie an vielen Stellen weise vermerkt) uns wahrlich beschämt und verachtet, nicht gestorben.
    Die Damen neigten ihre langen Hälse, um zu mir herabzublicken. Ihre ovalen Gesichter waren vollkommen, ebenmäßig, ausdruckslos, aber lüstern; und ich verstand mit einemmal, daß sie nicht – oder zumindest nicht mehr – die Hofdamen des Hauses Absolut waren, sondern die Kurtisanen des Azurnen Hauses geworden waren.
    Eine ganze Weile, wie mir schien, ging die Parade dieser verführerischen und unmenschlichen Frauen weiter, und bei jedem Herzschlag (den ich damals spürte wie selten zuvor oder seither, so daß mir war, als würde in meiner Brust eine Trommel gerührt) wendeten sie ihre Roben, ohne auch nur im geringsten ihr Aussehen zu verändern. Wie ich zuweilen in Träumen erkannte, daß eine gewisse Figur eigentlich jemand darstellte, dem sie nicht im geringsten glich, so erkannte ich, daß diese Damen in einem Moment die Zierde des Autarchenthrons und im nächsten gegen eine Handvoll Orikalken für die Nacht käuflich waren.
    Während dieser ganzen Zeit und auch in den viel längeren Pausen davor oder danach war mir äußerst unwohl zumute. Die Spinnweben, die ich allmählich als gewöhnliche Fischernetze erkannte, waren nicht entfernt worden; zudem hatte man mich mit Seilen gefesselt, wobei ein Arm unbeweglich an meiner Seite festgebunden und der andere nach oben gebeugt war, so daß die Finger meiner Hand, die bald taub wurden, fast ins Gesicht reichten. Als die Droge ihre höchste Wirkung entfaltet hatte, war ich inkontinent geworden, so daß meine Hosen von kaltem, stinkendem Urin durchnäßt waren. Als die Halluzinationen schwächer und die Pausen dazwischen länger wurden, litt ich immer stärker unter den widrigen Umständen und bekam Angst vor dem, was mir widerführe, holte man mich schließlich aus der fensterlosen Kammer, in die man mich geworfen hatte. Ich vermutete, der Hetman habe durch irgendeine Estafette erfahren, daß ich nicht der sei, für den ich mich ausgegeben hätte, und obendrein gewiß vermeldet bekommen, ich sei auf der Flucht vor dem Arm des Archons; denn ich überlegte mir, daß er sich andernfalls nicht getraut hätte, mir so zuzusetzen. Unter diesen Umständen konnte ich nur mutmaßen, ob er mich persönlich beseitigen

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