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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Gewicht würde mich ertränken.«
    »Es sei denn, du fändest ein Stück Holz, das das Gewicht trägt, während du mit den Füßen paddelst.«
    Sie tat so, als hätte sie meine Bemerkung nicht gehört. »Möchtet Ihr etwas Ente, Großmeister?«
    »Ja, aber erst, wenn du davon gegessen hast, und bevor du das tust, möcht’ ich mehr über diese Inseln erfahren. Sagtest du, der Wind triebe sie her? Offengestanden habe ich noch nie von Inseln gehört, die im Wind treiben.«
    Pia warf einen schmachtenden Blick auf die Ente, die in diesem Teil der Welt eine Köstlichkeit sein mußte. »Ich habe gehört, es gibt Inseln, die nicht wandern. Das ist wohl sehr umständlich und beschwerlich, und mir sind solche noch nie zu Gesicht gekommen. Unsere Inseln wandern umher, und manchmal hängen wir in ihre Bäume Segel, damit’s schneller geht. Aber es läßt sich mit ihnen nicht gegen den Wind kreuzen, weil sie keine gescheiten Böden wie Schiffe, sondern blöde Böden wie Wannen haben, so daß sie manchmal sogar umkippen.«
    »Ich würd’ eure Inseln gern mal sehn, Pia«, meinte ich. »Und ich möchte, daß du wieder zu ihnen kommst, denn das willst du offenbar. Ich schulde einem Mann, der so ähnlich heißt wie du, noch einen Gefallen, also will ich versuchen, dir das zu ermöglichen, bevor ich diese Gegend verlasse. Bis dahin solltest du möglichst viel Kraft sammeln, indem du von der Ente ißt.«
    Sie nahm sich ein Stück, und nachdem sie ein paar Brocken verzehrt hatte, löste sie mir vom Fleisch Streifen ab und fütterte mich mit den Fingern. Es mundete vorzüglich, war noch so heiß, daß es dampfte, und schmeckte nach Petersilie, was vielleicht von den Wasserpflanzen herrührte, von denen sich diese Enten ernährten; aber es war auch kräftig und etwas fett, so daß ich, als ein Schlegel gut zur Hälfte abgenagt war, etwas Salat nahm, um meinen Gaumen zu erfrischen.
    Sodann aß ich wohl weiter von der Ente, wobei mir eine Bewegung im Feuer ins Auge stach. Ein Stück Glut war von einem der Scheite in die Asche unter dem Rost gefallen, aber anstatt dort liegenzubleiben, zu erkalten und schließlich schwarz zu werden, richtete es sich anscheinend auf und verwandelte sich dabei in Roche, den Roche mit dem feuerroten Haar, zu echten Flammen entfacht, den Roche mit der Fackel, die er immer gehalten hatte, wenn wir als Knaben in der Zisterne unter dem Glockenturm badeten.
    Es mutete mich so seltsam an, ihn dort, zur Mikromorphe geschrumpft, zu sehen, daß ich mich Pia zuwandte, um sie darauf aufmerksam zu machen. Sie hatte offenbar nichts bemerkt; aber ein kaum daumengroßer Drotte stand auf ihrer Schulter, halb unter ihrem losen schwarzen Haar verdeckt. Als ich ihr sagen wollte, er sei dort, hörte ich mich zischend, grunzend und schnalzend in einer neuen Zunge sprechen. All das machte mir keine Angst, sondern versetzte mich in entrücktes Staunen. Ich wußte, was über meine Lippen kam, war keine menschliche Sprache, und betrachtete Pias entsetzte Miene wie ein antikes Gemälde in der Galerie des alten Rudesind in der Zitadelle; dennoch vermochte ich nicht, die Laute, die unaufhaltsam aus meiner Kehle drangen, zu Wörtern zu formen. Pia kreischte.
    Die Tür flog auf. Weil sie so lange geschlossen gewesen war, hatte ich ganz vergessen, daß sie nicht abgesperrt war. Sie stand nun also offen, und zwei Gestalten traten herein. Als die Tür aufging, waren es Männer gewesen, in deren Gesichtern weicher Pelz wie der zweier Otter sproß, aber immerhin Männer. Im nächsten Augenblick waren daraus Pflanzen geworden, grüne Strünke, aus denen die rasiermesserscharfen, wunderlich gezackten Blätter der Averne ragten. Spinnen, schwarze, geschmeidige, vielbeinige Tierchen, hatten dort ihren Unterschlupf. Als ich mich von meinem Stuhl erheben wollte, sprangen sie auf mich und umgarnten mich mit ihren Netzen, die im Feuerschein glänzten. Ungläubig glotzend, sperrte Pia den Mund auf, und ihre zarten Lippen erstarrten zu einem Ring des Grauens, wie ich noch bemerkt und mir eingeprägt hatte, bevor ein Falke niederstieß und mir mit einem Schnabel aus Stahl die Klaue vom Hals riß.
     

 
Das Boot des Hetmans
     
    Daraufhin saß ich die ganze Nacht und fast den ganzen Vormittag des nächsten Tages, wie ich später feststellte, im Dunkeln eingesperrt. Obgleich es dunkel war, wo ich lag, war es für mich zunächst nicht dunkel, denn meine Halluzinationen bedurften keiner Kerze. Ich kann mich an sie noch erinnern, wie ich mich an alles

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