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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Rumpf aus schwimmendem Schilfrohr, wie Weidenruten verflochten, gebaut. Da sich in einem solch nachgiebigen Rumpf kein gewöhnlicher Mastfuß befestigen ließ, war statt dessen ein dreieckiges Stangengerüst aufgestellt. Die schmale untere Dreiecksseite reichte von Dollbord zu Dollbord; die langen Seitenschenkel trugen einen Klobenzug, der nun, als der Hetman und ich an Bord stiegen, betätigt wurde, um eine schräge Rah zu hissen, die mit einem breit gestreiften Leinensegel bestückt war. Der Hetman hielt nun mein Schwert, aber gerade als die Fangleine geworfen wurde, sprang Pia mit einem Satz an Bord, daß ihre Kette nur so rasselte.
    Der Hetman wurde zornig und bedachte sie mit Schlägen; nun war es aber kein Kinderspiel, das Segel eines solchen Gefährts einzuholen und es mit dem Ruder zu wenden, so daß er ihr, obgleich er die Weinende in den Bug schickte, schließlich doch gestattete zu bleiben. Kurzentschlossen fragte ich ihn daraufhin, warum sie mitkommen wollte, obwohl ich mir den Grund dafür denken konnte.
    »Meine Frau ist recht streng mit ihr, wenn ich nicht daheim bin«, erklärte er mir. »Schlägt sie und läßt sie den ganzen Tag hart arbeiten. Es ist natürlich gut für das Kind, und sie ist sehr froh, wenn sie mich heimkommen sieht. Aber am liebsten kommt sie mit mir, was ich ihr nicht verübeln kann.«
    »Ich auch nicht«, meinte ich, während ich das Gesicht so weit wie möglich von seinem übelriechenden Atem abkehrte. »Obendrein wird sie die Burg zu sehen bekommen, die sie wohl noch nie gesehen hat.«
    »Hundertmal hat sie die Mauern schon gesehn. Sie stammt von den Leuten des Sees, die keinen Grund und Boden besitzen und die vom Wind umhergetrieben werden und somit alles sehn.«
    Wenn sie vom Wind umhergetrieben wurden, so erging es uns nicht anders. Luft, so klar wie Geist, blähte das gestreifte Segel, so daß sich der breite Rumpf sogar zur Seite legte, und ließ uns über das Wasser gleiten, bis das Dorf hinter der Horizontlinie verschwunden war – freilich waren die weißen Gipfel der Berge, die schier aus dem See aufragten, noch sichtbar.
     

 
Natrium
     
    So primitiv waren diese Fischer vom Seeufer bewaffnet – viel primitiver noch als die wirklich primitiven Autochthonen aus der Gegend um Thrax –, ich erkannte erst nach einer Weile, daß sie überhaupt bewaffnet waren. Es hielten sich an Bord mehr Männer auf, als zum Steuern und Segelsetzen erforderlich gewesen wären, aber ich vermutete zunächst, sie seien nur als Ruderer mitgekommen oder um das Ansehen des Hetmans zu heben, wenn er mich zu seinem Herrn in die Burg brächte. In ihren Bauchgurten steckten gerade, dünne Messer, wie sie überall bei Fischern gebräuchlich sind, und Speere mit Widerhaken zum Fischfang standen bereit. Erst als eine der Inseln, auf die ich so gespannt war, in Sicht kam und ich bemerkte, wie einer der Männer nach einer mit Tierzähnen gespickten Keule griff, wurde mir klar, daß die Männer als Schutz vorgesehen waren, und es gab tatsächlich etwas, wovor man sich vorsehen mußte.
    Die kleine Insel selbst wirkte erst befremdlich, als man sah, daß sie sich wirklich bewegte. Sie war niedrig und sehr grün und trug eine winzige Hütte (wie unser Boot aus Schilf gebaut und damit gedeckt) auf der höchsten Stelle. Ein paar Weiden wuchsen auf ihr, und ein langes, schmales Boot, wiederum aus Schilfgeflecht, war an ihrem Ufer festgemacht. Beim Näherkommen bemerkte ich, daß auch die Insel aus Schilf bestand, allerdings aus lebendem Schilf. Sein Rohr verlieh ihr das frische Grün, die verschlungenen Wurzeln bildeten wohl die floßähnliche Grundlage. Auf ihrem dicht verfilzten Gewirr hatte sich Erde angesammelt oder war dort von den Bewohnern aufgehäuft worden. Ihr waren die Bäume entsprossen, deren Wurzelwerk im Seewasser trieb. In kleinen Beeten gedieh Gemüse.
    Weil der Hetman und alle anderen an Bord bis auf Pia es mit finsteren Blicken bedachten, betrachtete ich das winzige Eiland mit Wohlwollen; und als ich es so sah – als grünen Fleck vor dem kalten und scheinbar endlosen Blau des Sees Diuturna und dem tieferen, wenn auch wärmeren Blau des gestirnten, sonnenbekrönten Himmels, fiel es mir nicht schwer, Gefallen an ihm zu finden. Hätte ich dieses Bild wie ein Gemälde betrachtet, hätte es (mit der geraden Horizontlinie, welche die Leinwand in zwei Hälften teilte, mit dem grünen Fleck aus grünen Bäumen und brauner Hütte) auf mich symbolträchtiger gewirkt als solche Gemälde, die

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