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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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die vor langer Zeit beschlossen hatten, daß alle Gedanken, welche die Kleider und Möbel symbolisierten, von der Menschheit abgelegt werden sollten, längst tot waren und das Volk ihre Gesichter und Grundsätze vergessen hatte, war man von den neuen Sachen entzückt. So verging das ganze Weltreich, das nur auf Ordnung aufgebaut gewesen war.
    Zwar verfiel das Weltreich, aber längst waren alle Welten im Sterben begriffen. Damit die Dinge, welche sie der Menschheit zurückgaben, nicht auf Ablehnung stießen, ersannen die Maschinen zunächst eitle Truggebilde und Phantasmagorien, deren Erscheinen jene, die sie betrachteten, zu Gedanken an Glück oder Rache oder die unsichtbare Welt beflügelten. Später gaben sie jedem Mann und jeder Frau als Ratgeber einen Gefährten zur Seite, der für alle anderen Augen unsichtbar blieb. Die Kinder hatten solche Gefährten schon längst.
    Als die Macht der Maschinen noch schwächer geworden war – wie es die Maschinen selbst wollten –, vermochten sie es nicht länger, diese Phantome inmitten ihrer Besitzer aufrechtzuerhalten, und konnten auch keine Städte mehr bauen, denn die verbleibenden Städte waren schon halb leer.
    Sie hatten nun, wie mein Onkel mir erzählte, jenen Punkt erreicht, an dem sich die Menschheit, wie sie hofften, gegen sie wenden und sie zerstören würde, aber nichts dergleichen geschah, denn inzwischen wurden sie, die als Sklaven verachtet oder als Teufel angebetet worden waren, innig geliebt.
    Also riefen sie alle, von denen sie am meisten geliebt wurden, zu sich und lehrten sie in vielen Jahren alles, was ihre Rasse abgelegt hatte, und starben schließlich.
    Sodann beratschlagten sich alle, die von ihnen geliebt worden waren und die sie geliebt hatten, und überlegten gemeinsam, wie ihre Lehren zu bewahren seien, wußten sie doch sehr wohl, daß ihresgleichen nicht wieder auf die Urth kämen. Aber ein bitterer Streit brach unter ihnen aus. Sie waren nicht gemeinsam gelehrt worden, sondern ein jeder, ob Mann oder Frau, hatte einer jener Maschinen gelauscht, als gäbe es neben den beiden keinen anderen mehr auf der Welt. Und weil es so umfangreiches Wissen und nur wenige Lernbereite gegeben hatte, hatten die Maschinen einem jeden andere Lehren erteilt.
    Also zerfielen sie in Parteien, und eine Partei in zwei weitere, und davon wiederum eine jede in zwei, bis schließlich der einzelne allein dastand, von allen anderen mißverstanden und geschmäht und diese schmähend. Dann gingen alle fort aus den Städten, welche die Maschinen geborgen hatten, oder tiefer in sie hinein – bis auf ein paar wenige, die aus Gewohnheit in den Palästen der Maschinen blieben, um bei ihren Leichnamen zu wachen.«
    Ein Diener brachte uns zwei Becher Weins, klar wie Wasser und still wie Wasser, bis eine Bewegung des Bechers in ihm Leben erweckte. Er verströmte einen Duft wie jene Blumen, die kein Mensch sehen und nur ein Blinder finden kann; und davon zu trinken war wie ein stärkender Trunk aus dem Herzen eines Stiers. Cyriaca ergriff begierig den ihrigen, leerte ihn bis zum Grund und warf ihn klirrend in eine Ecke.
    »Erzähl mir mehr«, sagte ich, »von dieser Geschichte der verschollenen Archive!«
    »Als die letzte Maschine kalt und still und ein jeder, der von ihnen die verbotene, von der Menschheit verworfene Kunde gelernt hatte, sich von den übrigen getrennt hatte, erfaßte das Herz eines jeden große Furcht. Denn jeder wußte um seine Sterblichkeit und sein zumeist vorgerücktes Alter. Und ein jeder erkannte, daß das über alles geliebte Wissen untergehen werde. Also machte sich ein jeder von ihnen – in der Annahme, er sei der einzige, der das tue – daran, niederzuschreiben, was er in den langen Jahren gelernt hatte, als er den Ausführungen der Maschinen gelauscht hatte, welche all das verschollene Wissen um allerlei Ungeheuerliches ausplauderten. Viel ging verloren, aber viel mehr überdauerte, zuweilen solchen in die Hände fallend, die es, um ihre Zusätze bereichert oder durch ihre Auslassungen verstümmelt, kopierten … Küß mich, Severian!«
    Ich führte, obgleich durch meine Maske behindert, den Mund an ihre Lippen. Als sie sich von mir löste, wallten in mir die schattenhaften Erinnerungen an Theclas alte, neckische Liebesaffären auf, die sich in den Boudoirs des Hauses Absolut abgespielt hatten, und ich sagte: »Weißt du denn nicht, daß so etwas die ganze Aufmerksamkeit eines Mannes erfordert?«
    Cyriaca lächelte. »Deshalb hab’ ich’s ja getan

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