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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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…«
    »Du hast auch etwas zu erzählen, nicht wahr? Erzähl’s mir, Severian! Ich habe dir bereits das vielleicht einzig interessante Ereignis meines Lebens geschildert.«
    »Auf dem Weg hierher stießen wir – ich werd’ dir ein andermal erklären, mit wem ich gereist bin – auf eine Hexe, ihre Gehilfin und ihren Klienten, welche einen gewissen Ort aufgesucht hatten, um den Leichnam eines längst verblichenen Mannes wiederzubeseelen.«
    »Wirklich?« Cyriacas Augen funkelten. »Wie herrlich! Ich habe von solchen Dingen gehört, aber so etwas nie erlebt. Erzähl mir alles, aber bitte nur die Wahrheit!«
    »Es gibt eigentlich nicht viel zu erzählen. Unser Weg führte uns durch eine verlassene Stadt, und als wir ihr Feuer sahen, gingen wir dorthin, weil wir jemand Krankes bei uns hatten. Als die Hexe den Mann zurückrief, den wiederauferstehen zu lassen sie gekommen war, dachte ich zunächst, sie würde die ganze Stadt wiederherstellen. Erst einige Tage später verstand ich’s …«
    Ich fand, ich konnte ihr gar nicht sagen, was ich denn verstanden hatte; daß es alle Worte überstieg und einer Bedeutungsebene angehörte, die wir gern für nicht existent halten, zu der unsere Gedanken aber, wäre da nicht beständig die Disziplin, die auszuüben wir gelernt haben, immer wieder unbewußt emporsteigen würden.
    »Erzähl weiter!«
    »Natürlich verstand ich’s nicht wirklich. Ich denke noch immer darüber nach – und versteh’s noch nicht. Aber irgendwie wußte ich, daß sie ihn zurückrief und er die steinerne Stadt als Szenerie für sich mitbrachte. Manchmal habe ich mir überlegt, daß sie vielleicht, von ihm abgesehen, nie real gewesen ist und wir, als wir über ihr Pflaster und den Schutt ihrer Mauern geritten sind, in Wirklichkeit zwischen seinen Gebeinen geritten sind.«
    »Und ist er gekommen?« fragte sie. »Erzähl!«
    »Ja, er kehrte zurück. Und dann war der Klient tot, ebenso die kranke Frau, die wir bei uns gehabt hatten. Und Apu-Punchau – so hieß der Tote – war wieder verschwunden. Die Hexen rannten offenbar davon, obwohl sie vielleicht fortflogen. Aber was ich sagen wollte, war, daß wir am nächsten Morgen zu Fuß weiterzogen und die nächste Nacht in der Hütte einer armen Familie verbrachten. Und in jener Nacht unterhielt ich mich, während die Dame, die bei mir war, schlief, mit dem Mann, der anscheinend recht viel über die steinerne Stadt wußte, auch wenn er ihren ursprünglichen Namen nicht kannte. Und ich unterhielt mich mit seiner Mutter, die wohl mehr als er wußte, jedoch nicht so viel sagen wollte.«
    Ich zögerte, fiel es mir doch schwer, über so etwas mit dieser Dame zu sprechen. »Zunächst vermutete ich, ihre Vorfahren entstammten dieser Stadt, aber sie sagten, sie sei vor dem Auftreten ihrer Rasse längst zerstört gewesen. Dennoch wüßten sie allerlei darüber, denn der Mann habe dort seit seiner Kindheit nach Schätzen gesucht, obwohl er, wie er sagte, nie etwas gefunden habe bis auf zerbrochene Steine und Gefäße und Spuren anderer Sucher, die lange vor ihm dagewesen seien.
    ›Ganz früher‹, erklärte mir seine Mutter, ›wurde geglaubt, man könnte einen vergrabenen Goldschatz heben, indem man mit diesem oder jenem Zauberspruch ein paar eigene Münzen in die Erde steckte. Gar viele taten das, und manche vergaßen die Stelle oder kamen nicht mehr dazu, ihr Eigentum wieder zu bergen. Das ist’s, was mein Sohn findet. Das ist das Brot, das wir essen.‹«
    Mir war sie noch gut in Erinnerung, die alte, gebückte Frau, die sich am kleinen Torffeuer die Hände gewärmt hatte. Vielleicht ähnelte sie einer von Theclas alten Ammen, denn irgend etwas an ihr brachte Thecla so dicht an die Oberfläche meines Verstandes, wie schon seit der Haftzeit von Jonas und mir im Haus Absolut nicht mehr, so daß ich, fiel mein Blick gelegentlich auf meine Hände, verblüfft war über die dicken Finger und die braune Hautfarbe und das Fehlen jeglichen Ringschmucks.
    »Erzähl weiter, Severian!« bestürmte mich Cyriaca abermals.
    »Dann erklärte mir die alte Frau, es sei etwas in der steinernen Stadt, das wirklich seinesgleichen anzöge. ›Dir sind gewiß schon Geschichten über Nekromanten zu Ohren gekommen‹, sagte sie, ›welche die Geister der Toten beschwören. Weißt du, daß es unter den Toten Vivimanten gibt, die jene anzurufen vermögen, welche sie wieder zum Leben erwecken können? Einen solchen gibt es in der steinernen Stadt, und ein- oder zweimal in jedem Saros kommt

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