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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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– ich wollte sehen, ob du mir zuhörst.
    Jedenfalls zirkulierten diese Schriften für eine lange Zeit – wie lange, das weiß wohl keiner genau, und außerdem konnte von einer Sonnenschwäche damals noch längst nicht die Rede sein, und die Jahre waren länger – oder aber lagen modernd in den Zenotaphen, worin die Verfasser sie zum Schütze aufbewahrt hatten. Es handelte sich um fragmentarische, widersprüchliche und eisegetische Aufzeichnungen. Als dann irgendein Autarch (die damals zwar noch nicht Autarchen hießen) die Hoffnung hegte, die vom ersten Weltreich ausgehende Macht wieder an sich zu reißen, wurden sie von seinen Dienern zusammengetragen – weißgewandeten Männern, welche Dachkammern plünderten und Androsphinxe, die zum Gedenken an die Maschinen errichtet worden waren, umstürzten und in die Grabnischen längst verstorbener Frauen eindrangen. Was sie erbeutet hatten, wurde dann zu einem großen Haufen in der Stadt Nessus, die gerade erbaut wurde, aufgeschichtet, um verbrannt zu werden.
    Aber in der Nacht vor der Verbrennung fügte es sich, daß der Autarch jener Zeit, der noch nie die wilden Träume des Schlafes, sondern nur die Tagträume von Herrschaft und Macht geträumt hatte, schließlich doch träumte. Und in seinem Traum sah er all die unbezähmbaren Welten von Leben und Tod, Stein und Fluß, Tier und Baum für immer seinen Händen entgleiten.
    Als der Morgen nahte, hieß er die Fackeln nicht entzünden, sondern ein großes Gewölbe bauen, um all die Bände und Rollen aufzunehmen, welche die weißgewandeten Männer gesammelt hatten. Denn er dachte, falls ihm das neue Weltreich, das er plante, schließlich mißlänge, wolle er sich in dieses Gewölbe zurückziehen, um in die Welten einzudringen, die er, dem Beispiel der Alten folgend, beiseite schieben wollte.
    Sein Weltreich mißlang ihm tatsächlich, wie es ja kommen mußte. Die Vergangenheit ist nicht in der Zukunft zu finden, wo sie nicht ist – nicht bevor die metaphysische Welt, so viel größer und so sehr langsamer als die physikalische Welt, ihre Drehung vollendet und die Neue Sonne kommt. Aber er zog sich nicht wie beabsichtigt in jenes Gewölbe hinter der Ringmauer, die er darum hatte errichten lassen, zurück, denn hat ein Mensch das Unbändige erst hinter sich gebracht, bleibt es ihm unwiederbringlich verwehrt.
    Nichtsdestoweniger hatte er, ehe das Angesammelte weggesperrt wurde, einen Wächter dafür bestimmt. Und als die Zeit dieses Wächters auf Urth abgelaufen war, fand er sich einen Nachfolger, wie auch dieser sich wieder einen fand, so daß sie ununterbrochen dem Willen des Autarchen treu dienen, denn es sättigen sie die unbändigen Gedanken, welche dem Wissen, das die Maschinen bewahrt haben, entspringen – und solche Treue ist eines dieser unbändigen Dinge.«
    Ich hatte sie, während sie sprach, entkleidet und ihr die Brüste geküßt; nun aber fragte ich: »Sind all diese Gedanken, von denen du gesprochen hast, aus der Welt gegangen, als der Autarch sie weggesperrt hat? Hab’ ich noch nie von ihnen gehört?«
    »Nein, weil sie lange Zeit von Hand zu Hand gereicht worden und in das Blut der Völker übergegangen sind. Außerdem sendet, sagt man, der Wächter sie zuweilen aus, und sie werden gelesen – ob von einem oder von vielen –, ehe sie in seine dunklen Gewölbe zurücksinken.«
    »Eine wunderbare Geschichte«, versetzte ich. »Ich glaube, ich weiß vielleicht mehr als du darüber, aber ich habe sie noch nie gehört.« Wie sich zeigte, waren ihre Beine lang und verjüngten sich harmonisch von den Oberschenkeln, die wie seidene Kissen waren, zu den grazilen Knöcheln; ihr ganzer Leib war fürwahr wonniglich gestaltet.
    Ihre Finger nestelten an der Spange, die meinen Mantel um die Schultern zusammenhielt. »Mußt du den ausziehn? Können wir uns nicht damit bedecken?«
    »Können wir«, sagte ich.
     

 
Attraktionen
     
    Fast wäre ich ertrunken in den Wonnen, die sie mir spendete, denn obgleich ich sie nicht liebte, wie ich einst Thecla geliebt hatte oder jetzt noch Dorcas liebte, und obgleich sie nicht schön war, wie Jolenta einst schön gewesen war, empfand ich für sie eine Zärtlichkeit, die nur zum Teil im unsteten Wein ihre Ursache hatte, war sie doch eine solche Frau, wie ich sie mir als zerlumpter Knabe im Matachin-Turm erträumt hatte, ehe ich Theas herzförmiges Gesicht am Rand des geöffneten Grabes erblickte; und sie verstand mehr von der Kunst der Liebe als jede der drei anderen.
    Als wir uns

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