Das Schwert des Liktors
einer von denen, die er zu sich gerufen hat, um bei uns zu essen.‹ Und dann sagte sie zu ihrem Sohne: ›Du wirst dich an den stillen Mann erinnern, der neben seinem Stab geschlafen hat. Du bist zwar noch ein Kind gewesen, aber du wirst dich noch erinnern. Er war der letzte bis heute.‹ Somit wußte ich, daß auch mich der Vivimant Apu-Punchau angezogen hatte, obgleich ich nichts gespürt hatte.«
Cyriaca sah mich von der Seite an. »Also bin ich tot? Willst du das damit sagen? Du hast von einer Hexe gesprochen, die der Nekromant war, und daß du nur zufällig auf das Feuer stießest. Ich glaube, du selbst warst die besagte Hexe, und gewiß war der kranke Mensch, den du erwähntest, der Klient und die Dame deine Gehilfin.«
»Das glaubst du nur, weil ich versäumt habe, dir alles Bedeutsame der Geschichte zu erzählen«, entgegnete ich. Ich wollte lachen beim Gedanken, für eine Hexe gehalten zu werden; allerdings drückte die Klaue gegen mein Brustbein und sagte mir, daß ich durch ihre gestohlene Macht in allem bis auf Wissen fürwahr eine Hexe war; und ich verstand – im gleichen Sinn, wie ich es bisher ›verstanden‹ hatte –, daß Apu-Punchau, der sie in seinen Besitz gebracht hatte, sie mir dennoch nicht nehmen konnte (oder wollte?). »Nun zum Allerwichtigsten«, fuhr ich fort. »Als der Geist des Verstorbenen verschwand, war ein scharlachroter Domino der Pelerinen, wie auch du ihn nun trägst, auf dem schmutzigen Boden zurückgeblieben. Ich hab’ ihn in meiner Gürteltasche. Befassen sich die Pelerinen mit Nekromantie?«
Ich habe nie eine Antwort auf meine Frage erhalten, denn beim Stellen ist die große Gestalt des Archons auf dem schmalen Pfad, der zum Springbrunnen geführt hat, erschienen. Er trug eine Larve und war als Kobold verkleidet, so daß ich ihn bei hellem Licht nicht erkannt hätte; die Düsterkeit im Garten indes machte seine Maske durchschaubar, als hätten Menschenhände ihn ihrer entledigt, so daß ich ihn erkannte, sobald ich seine großwüchsige Gestalt und seinen Gang sah.
»Aha«, sagte er. »Du hast sie gefunden. Das hätte ich mir denken können.«
»Ich hab’s geahnt«, versetzte ich, »war mir aber nicht ganz sicher.«
Auf dem Kliff
Ich verließ das Anwesen durch eines der landseitigen Tore. Es standen dort sechs Reiter auf Posten, die jedoch nichts von der lockeren Art der beiden an der Ufertreppe vor ein paar Wachen an sich hatten. Einer fragte mich höflich, aber entschlossen, mir den Durchgang zu verwehren, ob ich so früh gehen müsse. Ich stellte mich vor und erklärte, das müsse leider sein, denn ich hätte in dieser Nacht noch ein Werk zu verrichten (was nicht gelogen war) und auch am nächsten Morgen alle Hände voll zu tun (was ebenfalls nicht gelogen war).
»Ihr seid ja ein wahrer Held.« Der Soldat war ein bißchen freundlicher geworden. »Habt Ihr keine Eskorte, Liktor?«
»Zwei Wärter, die ich jedoch entließ. Es gibt keinen Grund, warum ich nicht allein in die Vincula heimfinden sollte.«
Ein anderer Kavallerist, der bis jetzt geschwiegen hatte, meinte: »Ihr könnt bis morgen früh dableiben. Man wird Euch ein ruhiges Plätzchen zum Hinlegen finden.«
»Schon, aber mein Werk blieb’ ungetan. Ich muß also leider jetzt gehn.«
Der Soldat, der sich mir in den Weg gestellt hatte, trat beiseite. »Würd’ Euch gern ein paar Männer mitschicken. Wenn Ihr einen Moment warten wolltet. Ich muß erst den wachhabenden Offizier um Erlaubnis fragen.«
»Das wird nicht nötig sein«, entgegnete ich und ging, ehe sie etwas erwidern konnten. Irgend etwas – vermutlich die Morde, von denen mein Sergeant gesprochen hatte – war in der Stadt los; ich war mir fast sicher, daß es während meiner Anwesenheit im Palast des Archons wieder einen Toten gegeben hätte. Der Gedanke versetzte mich in wohlige Aufregung – nicht weil ich so töricht war zu glauben, allen Angriffen überlegen zu sein, sondern weil die Vorstellung, in dieser Nacht in den Straßen von Thrax angegriffen zu werden und das Leben zu riskieren, zum Teil die Niedergeschlagenheit verdrängte, die mich anderweitig bedrückt hätte. Dieses ziellose Grauen, diese anonyme Bedrohung der Nacht war von all meinen Kindheitsängsten die früheste; und als solche hatte sie nun, da die Kindheit hinter mir lag, die trauliche Eigenschaft aller Dinge aus der Kindheit, sind wir erst ganz erwachsen.
Ich befand mich bereits auf der gleichen Flußseite wie die Lehmhütte, die ich am Nachmittag besucht
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