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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Meister Palaemon, so war ich keiner mehr. Ich hatte in Thrax eine zweite Chance bekommen. Auch diese zweite Chance hatte ich vertan, und eine dritte gäb’s nicht mehr. Ich könnte mir aufgrund meines Könnens und meiner Tracht Arbeit verschaffen, aber mehr nicht; und bestimmt wär’s das beste, mich schnellstmöglich ihrer zu entledigen und zu versuchen, bei den Soldaten unterzukommen, die den nordischen Krieg austrugen, sobald es mir gelungen wäre – falls es mir je gelänge –, die Klaue zurückzugeben.
    Der Knabe regte sich und rief einen Namen, der wohl derjenige seiner Schwester war. Sie murmelte etwas im Schlaf. Ich erhob mich, betrachtete sie noch eine Zeitlang und ging dann, besorgt, daß der Anblick meines strengen Gesichts und meines langen Schwertes sie ängstigen könnte, davon.

 
Der Salamander
     
    Draußen wirkten die Sterne strahlender, und zum ersten Mal seit vielen Wochen drückte die Klaue nicht mehr gegen meine Brust. Als ich den schmalen Weg hinabging, brauchte ich mich nicht mehr umzudrehen, um die Stadt zu sehen. Als abertausend funkelnde Lichter lag sie vor mir ausgebreitet, von Burg Acies’ Wachfeuer bis zu den sich im Fluß spiegelnden Wachstubenfenstern des Capulus.
    Inzwischen waren alle Tore geschlossen. Falls die Dimarchi noch nicht ausgeritten waren, würden sie das tun, ehe ich das ebene Gelände in Ufernähe erreichte; ich war jedoch entschlossen, Dorcas noch einmal zu sehen, bevor ich die Stadt verließe, was mir, daran zweifelte ich nicht, sicher gelänge. Ich überlegte mir gerade einen Plan, wie wir danach die Mauern überwinden könnten, als weit unten ein neues Licht aufloderte.
    Es war nicht groß aus dieser Entfernung, lediglich eine Nadelspitze wie alle übrigen; dennoch glich es den anderen überhaupt nicht, und meine Sinne verzeichneten es nur als Licht, weil es sich mit nichts anderem vergleichen ließ. Ich hatte in jener Nacht in der Nekropolis, als Vodalus die Frauenleiche ausgrub, aus nächster Nähe einen Pistolenschuß gesehen – einen gebündelten Energiestrahl, der wie ein Blitz den Nebel zerteilt hatte. Dieses Feuer war nicht so, ähnelte ihm aber mehr als alles andere mir Bekannte. Es flammte kurz auf und erlosch, und einen Herzschlag später spürte ich abstrahlende Hitze in meinem Gesicht.
    Irgendwie verfehlte ich im Dunkeln das kleine Gasthaus namens Entennest. Ich habe nie erfahren, ob ich in eine falsche Gasse eingebogen bin oder lediglich die mit Läden verschlossenen Fenster und das darüber hängende Schild übersehen habe. Jedenfalls hatte ich mich bald viel zu weit vom Fluß entfernt und schritt durch eine Straße, die zumindest ein Stück lang parallel zum Steilhang verlief, wobei der Geruch von versengtem Fleisch wie bei einer Brandmarkung in meine Nase stieg. Ich wollte schon wieder weitergehen, als ich im Dunkeln mit einer Frau zusammenstieß. So hart und unerwartet prallten wir zusammen, daß es mich beinahe umgeworfen hätte, und während ich nach hinten taumelte, hörte ich ihren Leib auf dem Steinpflaster aufschlagen.
    »Ich hab’ dich gar nicht gesehn«, erklärte ich, als ich mich hinabbeugte, um ihr aufzuhelfen.
    »Renn! Renn!« keuchte sie. Und dann: »Hilf mir doch auf!« Ihre Stimme kam mir bekannt vor.
    »Warum soll ich rennen?« Ich zog sie auf die Beine. Im schwachen Licht sah ich undeutlich ihr Gesicht und sogar etwas von der Angst, die darin saß.
    »Es hat Jurmin getötet. Er ist lebendigen Leibes verbrannt. Sein Stock glühte noch, als wir ihn fanden. Er …« Was sie sagen wollte, verlor sich in Schluchzen.
    »Was hat Jurmin verbrannt?« Als sie nicht antwortete, schüttelte ich sie, aber das ließ sie nur noch heftiger weinen. »Kenn’ ich dich nicht? Sprich, Frau! Du bist die Wirtin vom Entennest. Führ mich dorthin!«
    »Ich kann nicht«, erwiderte sie. »Ich habe Angst. Gebt mir Euren Arm, bitte, Sieur! Wir müssen rein.«
    »Gut. Wir gehn zum Entennest. ’s kann nicht mehr weit sein – was ist denn das?«
    »Viel zu weit!« schluchzte sie. »Viel zu weit.«
    Irgend etwas war da noch in der Straße. Vielleicht hatte ich es nicht kommen gehört, oder es war bis jetzt unbemerkt gewesen; nun aber war es mit einemmal da. Ich habe Leute, die sich vor Ratten ekeln, sagen gehört, sie würden sie in dem Moment gewahr, wo sie ins Haus eindrängen, selbst wenn die Tiere nicht zu sehen seien. So war es auch jetzt. Ich spürte Hitze ohne Wärme; und obschon in der Luft nichts zu riechen war, fühlte ich, daß ihre

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