Das Schwert des Liktors
spät oder zu früh. Anstelle des Steilwegs zur unteren Stadt, den ich erwartet hatte, fand ich mich in einem kleinen Hof ohne Durchgang wieder, der auf einem Steingesims, das aus dem Fels ragte, lag. Als ich meinen Irrtum bemerkte, stand die Kreatur, nun wieder ein verschlungenes, verkrüppeltes Gebilde, wovon aber eine schreckliche, unsichtbare Energie ausströmte, auch schon am Hofeingang.
Im Schein der Sterne hätte es lediglich ein altes, gebeugtes Männlein in einem schwarzen Mantel sein können, jedoch habe ich nie mehr Grauen als bei seinem Anblick empfunden. Es befand sich eine Hütte an der Hofrückseite: ein größerer Bau als der Schuppen, worin das Mädchen und sein Bruder hausten, aber gleichfalls aus Lehm und Reisig errichtet. Ich trat die Tür ein und rannte in ein Gewirr stinkender Zimmer, durcheilte ein erstes, ein zweites und ein drittes, worin ein halbes Dutzend Männer und Frauen schliefen, sodann ein viertes, nur um zu einem Fenster zu gelangen, das über die Stadt zeigte wie meine Laibung in den Vincula. Es war das Ende, das hinterste Zimmer des Hauses, das wie ein Schwalbennest über dem Abhang hing, der bodenlos tief zu sein schien.
Aus dem Zimmer, das wir gerade durchmessen hatten, vernahm ich die ärgerlichen Stimmen der Bewohner, die wir geweckt hatten. Die Tür flog auf, aber wer immer auch gekommen war, um die Eindringlinge hinauszuwerfen, mußte das blitzende Terminus Est gesehen haben; er blieb stehen, fluchte und wandte sich wieder ab. Im nächsten Augenblick schrie jemand auf, und ich wußte, daß die Feuerkreatur in der Hütte war.
Ich versuchte, die Frau aufrecht hinzusetzen, aber sie sackte zu meinen Füßen in sich zusammen. Außerhalb des Fensters war nichts – die Mauer aus Lehm und Reisig endete ein paar Ellen darunter. Das vorstehende Strohdach darüber bot meinen Händen nicht mehr Halt als Spinnweben. Während ich versuchte, es zu fassen zu kriegen; strömte grelles Licht herein, das alle Farben verblassen ließ und rußschwarze Schatten warf, die wie Risse im Universum wirkten. Nun wußte ich, daß ich kämpfen und sterben wie die Dimarchi oder springen mußte, also wirbelte ich herum, um mich ihm, der mich zu töten gekommen war, zu stellen.
Es war noch im Zimmer davor, aber durch die Tür sah ich, daß es sich wie auf der Straße wieder entfaltet hatte. Die halb verzehrte Leiche einer Frau lag vor ihm auf dem Boden, und vor meinen Augen beugte es sich über sie, um sie sich, das hätte ich wetten können, neugierig anzusehen. Ihr Fleisch brutzelte und schmorte wie das Fett eines Bratens und fiel dann ab. Im nächsten Moment waren sogar die Knochen nur mehr ein bleiches Aschenhäuflein, das die Kreatur beim Weitergehen zertrat und zerstreute.
Terminus Est ist meiner Meinung nach die beste Klinge gewesen, die je geschmiedet worden ist, aber ich habe gewußt, daß sie gegen die Macht, die so viele Reitersleute ausgerottet hat, nichts ausrichten kann. Ich warf es zur Seite in der vagen Hoffnung, man würde es finden und schließlich Meister Palaemon zurückbringen, und zog die Klaue aus ihrem Säckchen um meinen Hals.
Es war meine letzte, kleine Chance, aber wie sich sofort zeigte, war auch das vergebens. Allerdings gewahrte die Kreatur die Welt um sich herum (und ich hatte aufgrund seiner Bewegungen vermutet, daß sie auf unserer Urth fast blind war), konnte das Juwel eindeutig ausmachen und fürchtete es nicht. Hatte sie sich zunächst langsam genähert, so glitt sie nun rasch und zielstrebig voran. Sie erreichte die Tür – rauchend und berstend hatte sie sich mit einemmal aufgelöst. Von unten drang Licht durch das Loch, das sie in den dünnen Fußboden, der sich an den zutage tretenden Fels anschloß, gebrannt hatte; zuerst war es das farblose Licht der Kreatur, dann der wechselhafte, duftige Glanz von schillerndem Blau, Lila und Rosa. Dann nur noch das schwache, rötliche Flackern züngelnder Flammen.
Blei
In einem Moment hatte ich schon geglaubt, ich würde in das gähnende Loch in der Mitte des Zimmers fallen, bevor ich Terminus Est wieder an mich nehmen und die Wirtin vom Entennest in Sicherheit schaffen konnte, und im nächsten war ich mir sicher, alles würde fallen – das ganze wacklige Zimmer mitsamt uns allen.
Dennoch entkamen wir schließlich. Als wir in die Straße gelangten, war sie frei von Dimarchi und Menschen, denn die Soldaten hatte es gewiß unten zum Feuer und die verängstigten Menschen in die Häuser gezogen. Ich stützte die Frau
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