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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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mit einem Arm und ließ sie den Weg wählen, obgleich ihr die Angst noch so in den Gliedern steckte, daß sie zu keiner vernünftigen Antwort fähig war; wie vermutet, führte sie uns unbeirrbar zu ihrem Gasthaus.
    Dorcas schlief. Ich weckte sie nicht, sondern setzte mich im Finstern auf einen Stuhl neben dem Bett, wo nun auch ein Tischchen stand, das gerade Platz bot für Glas und Flasche, die ich aus der Gaststube mitgebracht hatte. Was für ein Wein es auch gewesen sein mochte, er schmeckte stark im Mund, aber fast wie bloßes Wasser nach dem Hinunterschlucken; als Dorcas erwachte, hatte ich schon die halbe Flasche geleert, spürte aber keine andere Wirkung, als wenn ich die gleiche Menge Sorbetts getrunken hätte.
    Sie schreckte auf und ließ sich dann wieder in die Kissen fallen. »Severian! Ich hätte wissen müssen, daß du es bist.«
    »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, sagte ich. »Ich wollte nachsehn, wie’s dir geht.«
    »Nett von dir, obwohl es mir immer so vorkommt, daß du dich, wenn ich erwache, über mich beugst.« Sie machte kurz die Augen wieder zu. »Du gehst so leise in diesen dick besohlten Stiefeln, weißt du das? Das ist einer der Gründe, warum man dich so fürchtet.«
    »Du sagtest einmal, ich erinnerte dich an einen Vampir, weil ich einen Granatapfel aß und meine Lippen rot verschmiert waren. Erinnerst du dich?« (Das war auf einem Feld innerhalb der Stadtmauer von Nessus gewesen, als wir neben Dr. Talos’ Theater genächtigt und zum Frühstück die liegengebliebenen Früchte des fliehenden Vorabendpublikums verspeist hatten.)
    »Ja«, antwortete Dorcas. »Du willst mich damit wieder zum Lachen bringen, nicht wahr? Aber ich fürchte, ich kann nicht mehr lachen. Nie mehr.«
    »Möchtest du etwas Wein? Er hat nichts gekostet und schmeckt gar nicht so schlecht, wie ich gedacht habe.«
    »Um mich aufzuheitern? Nein. Trinken soll man, glaub’ ich, wenn man schon in heiterer Stimmung ist. Andernfalls gießt man sich nur Kummer in den Becher.«
    »Trink wenigstens einen Schluck. Die Wirtin sagt, du bist krank gewesen und hast den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
    Dorcas drehte ihr goldenes Haupt auf dem Kissen, um mich anzusehen; da sie hellwach schien, war ich so frei, die Kerze anzuzünden.
    Sie sagte: »Du trägst deine Tracht. Das muß ihr eine ganz schöne Angst eingejagt haben.«
    »Nein, sie hat keine Angst vor mir. Sie füllt ihren Becher mit allem, was sie in der Flasche findet.«
    »Sie ist gut zu mir gewesen – nett und freundlich. Laß sie zufrieden, auch wenn sie so spät nachts noch trinken will!«
    »Ich hab’ ihr ja nichts getan. Aber willst du denn nichts? Es muß noch etwas zu haben sein aus der Küche, und ich deck’ dir den Tisch zum Brechen voll.«
    Meine Wortwahl entlockte Dorcas ein zaghaftes Lächeln. »Ich hab’ den ganzen Tag gebrochen. Das meinte sie, als sie dir sagte, ich sei krank. Das sagte sie dir doch? Gekotzt hab’ ich. Ich möcht’ meinen, du müßtest es noch riechen können, obwohl die arme Frau ihr Bestes getan hat, nachher alles wieder sauberzumachen.«
    Dorcas hielt inne und schnupperte. »Was ist’s, das ich rieche?
    Verbrannten Stoff? Das muß die Kerze sein, aber den Docht wirst du mit dieser mächtigen Klinge nicht stutzen können.«
    Ich erklärte: »Es ist mein Mantel, denk’ ich. Ich bin einem Feuer zu nahe getreten.«
    »Ich würd’ dich bitten, das Fenster zu öffnen, aber es ist, wie ich sehe, schon offen. Stört dich wohl? Die Kerze steht im Zug. Wird dir von den flackernden Schatten schwindlig?«
    »Nein«, entgegnete ich. »Macht mir nichts aus, solange ich nicht direkt in die Flamme blicken muß.«
    »Ich seh’ dir an, daß du dich genauso fühlst wie ich in der Nähe von Wasser.«
    »Heut’ nachmittag, als ich dich gefunden habe, hast du unmittelbar am Ufer gesessen.«
    »Ich weiß«, meinte Dorcas und verstummte. Sie blieb so lange stumm, daß ich schon befürchtete, sie wolle nicht mehr mit mir sprechen, das krankhafte Schweigen (und ein solches war es gewiß gewesen), das sie befallen hatte, sei zurückgekehrt.
    Schließlich sagte ich: »Ich war erstaunt, dich dort zu sehen – ich erinnere mich, mehrmals hingesehn zu haben, bevor ich mir sicher gewesen bin, daß du’s bist, obwohl ich nach dir gesucht hab’.«
    »Ich übergab mich, Severian. Das sagte ich dir doch, nicht wahr?«
    »Ja, das sagtest du.«
    »Weißt du, was ich erbrochen habe?«
    Sie sah stieren Blicks zur niedrigen Zimmerdecke, und ich hatte

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