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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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verlief, zu achten. Im großen ganzen war es ein abschüssiger Steig von der Breite einer Elle oder weniger. Gelegentlich wurde er von Stufen abgelöst, die in den Stein gehauen waren, und an einer Stelle gab es nur Löcher für Hände und Füße, die ich wie eine Leiter überwand. Diese waren – objektiv betrachtet – viel einfacher zu bewältigen als die Vorsprünge, an die ich mich am Eingang zur Mine der Menschenaffen geklammert hatte, und wenigstens blieb mir der Schreck erspart, daß Armbrustbolzen an meinen Ohren explodierten; die Höhe war allerdings hundertmal größer und schwindelerregend.
    Vielleicht weil ich bei diesem mühsamen Unterfangen notgedrungen vom Abhang am Rande des Steiges keine Notiz nehmen konnte, wurde ich insbesondere die gewaltige, ausgelöste Scholle der Erdkruste gewahr, über die ich kletterte. In der grauen Vorzeit, so las ich einmal in einem Buch, das Meister Palaemon mir vorgelegt hatte, war die ganze Urth noch lebendig, und die Bewegungen dieses lebenden Kerns ließen den Boden hervorbrechen wie Fontänen und öffneten zuweilen über Nacht Meere zwischen Inseln, die noch ein geschlossener Kontinent gewesen waren, als die Sonne sie zuletzt beschien. Nun, sagt man, ist sie tot und kühlt aus und schrumpft in ihrem steinernen Mantel, wie der Leichnam einer Greisin in einem der verlassenen Häuser, von denen Dorcas gesprochen hatte, in der stillen, trockenen Luft dörrt, bis das Gewand über der Mumie zusammenfällt. So ergeht es, wie man sagt, auch der Urth; und hier war ein halber Berg von seiner anderen Hälfte abgerutscht, mindestens eine Meile tief fallend.
     

 
Das Haus der Witwe
     
    In Saltus, wo ich mit Jonas ein paar Tage verbracht und die zweite und dritte öffentliche Enthauptung meiner Laufbahn vollzogen habe, entreißen die Bergleute dem Boden Metalle, Bruchsteine und selbst Artefakte, von Zivilisationen niedergelegt, die seit Chiliaden vor dem Mauerbau von Nessus vergessen sind. Dies bewerkstelligen sie, indem sie Stollen in den Berg treiben, bis sie auf eine gehaltvolle Ruinenschicht oder (falls die Gräber Glück haben) sogar ein Gebäude stoßen, das zum Teil erhalten ist, so daß es ihnen als vorgefertigter Fördergang dient.
    Was dort mit solcher Mühe betrieben wurde, ließe sich an diesem Kliff mit fast keiner noch so großen Mühe erzielen. Die Vergangenheit stand an meiner Schulter, nackt und wehrlos wie alle toten Dinge, als wäre die Zeit selbst durch den Fall des Berges offengelegt worden. Fossile Knochen ragten hie und da aus dem Fels, Knochen von Riesentieren und von Menschen. Auch der Wald hatte dort die eigenen Toten begraben als Stümpfe und Äste, welche die Zeit versteinert hatte, so daß ich mich beim Hinabklettern fragte, ob es nicht sein könne, daß die Urth nicht, wie wir glauben, älter als ihre Töchter, die Bäume, sei, und mir vorstellte, wie sie in der Leere vor dem Angesicht der Sonne wüchsen, Baum an Baum durch verflochtenes Wurzel- und Astwerk ineinander verschlungen, bis schließlich aus dieser dichten Masse unsere Urth hervorginge und sie nur mehr der Flor ihres Gewandes wären.
    Tiefer als diese lagen die Bauten und Mechanismen der Menschheit. (Und vielleicht lagen darunter auch diejenigen anderer Rassen, denn in mehreren Geschichten des braunen Buches, das ich bei mir trug, war offenbar angedeutet, daß es hier einst Kolonien dieser Rassen gegeben hatte, die wir Cacogens nennen, obgleich sie in Wirklichkeit von vielen, wie den unsrigen unterscheidbaren Rassen abstammten.) Ich bemerkte dort Metalle, die grün und blau waren im gleichen Sinn, wie man Kupfer als rot oder silberweiß bezeichnet; bunte Metalle, die so wundersam gearbeitet waren, daß ich nicht sagen konnte, ob ihre Form als Kunstwerk oder Teil einer sonderbaren Maschine gedient hätte, und vielleicht machte man bei manchen dieser unfaßbaren Rassen dazwischen gar keine Unterscheidung.
    An einer Stelle, ich war noch nicht halb unten, war die Kante des Abbruchs mit der gefliesten Mauer eines Bauwerks zusammengefallen, so daß sich der Pfad, den ich beschritt, durch diese schnitt. Was das Gefüge dieser Fliesen darstellte, erfuhr ich nie; beim Abstieg war ich zu nahe daran, um es ermessen zu können, und als ich zum Fuß des Berges gelangte, lag es zu hoch, um es noch erkennen zu können, zumal es sich in den treibenden Dunstschwaden des stürzenden Wassers verlor. Dennoch sah ich es beim Vorangehen; wie sozusagen ein Insekt das Gesicht eines Porträts sähe, kletterte

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