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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Tag ohne Nahrung auskommen könnte; und noch klarer war, daß ich die nächste Nacht nicht wieder wie die letzte nur im Schutze meines Mantels verbringen könnte. Also kehrte ich, obgleich ich mich noch nicht getraute, die bewohnten Täler aufzusuchen, meine Schritte zum Hochwald, den ich unter mir über die Hänge marschieren sah.
    Es dauerte fast den ganzen Morgen, bis ich zu ihm gelangte. Als ich endlich zu den zwergwüchsigen Birken, seinen Vorreitern, hinabkletterte, sah ich, daß er, obgleich das Gelände steiler als vermutet war, in seiner Mitte, wo der Boden etwas ebener und erdreicher war, Bäume von beachtlicher Höhe aufzuweisen hatte, die so dicht standen, daß die Freiräume zwischen den Stämmen kaum breiter als die Stämme selbst waren. Es handelte sich natürlich nicht um die ledrigen Laubbäume des tropischen Waldes, den wir am südlichen Cephissus-Ufer hinter uns gelassen hatten, sondern hauptsächlich um rauhborkige Koniferen, stattliche, kerzengerade Bäume, die sich trotz ihres starken, hohen Wuchses vom Schatten der Berge abneigten und wenigstens zu einem Viertel unverkennbar die Spuren ihres Krieges gegen Wind und Blitzschlag trugen.
    Ich war in der Hoffnung hergekommen, hier Holzfäller oder Jäger vorzufinden, deren Gastfreundschaft ich in Anspruch nehmen könnte, die jedermann (wie Städter gern glauben) einem Fremdling in der Wildnis anböte. Lange Zeit blieb meine Hoffnung jedoch unerfüllt. Immer wieder hielt ich inne, um nach dem Klirren einer Axt oder Hundegebell zu lauschen. Alles blieb still, und obwohl der Wald Unmengen Holzes hätte liefern können, entdeckte ich keinerlei Anzeichen, daß hier je gefällt worden wäre.
    Schließlich stieß ich auf einen Bach mit eiskaltem Wasser, der sich zwischen den Bäumen hindurchwand, von winzigen, zarten Farnen und haarfeinem Gras eingesäumt. Ich löschte meinen Durst und folgte dem Sturzbach mit seinen Schnellen und kleinen Bergseen etwa eine halbe Wache lang den Hang hinab, wobei ich mich wie gewiß schon viele andere in zahllosen Chiliaden darüber wunderte, daß er allmählich breiter wurde, obschon er von keinen für mich sichtbaren Nebenläufen gespeist wurde.
    Zuletzt war er so mächtig angeschwollen, daß nicht einmal mehr die Bäume vor ihm sicher waren, und ich entdeckte vor mir einen mindestens vier Ellen dicken Stamm, der mit freigelegten Wurzeln quer über ihm lag. Ohne besonders vorsichtig zu sein, schritt ich näher, denn es war kein verdächtiges Geräusch an meine Ohren gedrungen, und sprang, mich über einen vorstehenden Aststumpf schwingend, hinauf.
    Beinahe wäre ich in einen Ozean aus Luft gepurzelt. Die Zinnen von Burg Acies, von wo aus ich die mutlose Dorcas gesehen hatte, waren eine Balustrade, verglichen mit dieser Höhe. Sicherlich ist die Mauer von Nessus das einzige Werk von Händen, das mit ihr wetteifern könnte. Der Bach stürzte lautlos in einen Abgrund, wurde in feine Gischt zersprüht und löste sich in einem Regenbogen auf. Die Bäume darunter wirkten wie Spielzeug, von einem milden Vater für den Sohn geschnitzt, und an ihrem Saum sah ich, mit einem Feld dahinter, ein Häuschen, von dem eine weiße Rauchfahne, der Geist des Wasserbandes, das gestürzt und vergangen war, aufstieg, um wie dieses im Nichts zu verschwinden.
    Ober dieses Kliff abzusteigen erschien mir zunächst durchaus einfach, hatte mich doch der Schwung meines Sprunges beinahe über den gefallenen Stamm hinausgetragen, der wiederum halb über der Kante hing. Als ich jedoch das Gleichgewicht wiedererlangt hatte, kam es mir fast unmachbar vor. Die Felswand war, soweit ich sehen konnte, über große Partien hinweg extrem steil; wenn ich ein Seil gehabt hätte, wäre mir der Abstieg vielleicht gelungen, so daß ich beizeiten vor Nachteinbruch zum Häuschen gelangt wäre, aber ich besaß natürlich keins und hätte mich sowieso nur ungern einem Seil von solch gewaltiger Länge – und lang hätte es sein müssen – anvertraut.
    Ich machte mich dennoch daran, den Rand des Kliffs zu erforschen, und entdeckte nach einer Weile einen, wenn auch noch so tückischen und schmalen Steilpfad, der unverkennbar Spuren des Gebrauchs aufwies. Ich will den Abstieg nicht im einzelnen schildern, hat das doch wirklich wenig mit meiner Geschichte zu tun, obgleich er mich damals, wie man sich denken kann, sehr mit Beschlag belegt hat. Bald hatte ich gelernt, nur auf den Pfad und die Felswand zu meiner Rechten oder Linken, je nachdem, in welche Richtung er gerade

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