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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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dann auf die Jagd nach mir machen, wenn die Urth sich wieder dem Licht zuwendet? Oder hier bleiben, um mich von Weib und Kind, die mein eigen sind, fernzuhalten?«
    »Nein«, antwortete ich.
    »Bei deiner Ehre? Schwörst du’s bei diesem Schwert, auch wenn du’s nicht zur Sonne erheben kannst?«
    Ich trat einen Schritt zurück und drehte Terminus Est um, indem ich die Klinge so hielt, daß die Spitze auf mein Herz zeigte. »Ich schwöre bei diesem Schwert, dem Zeichen meines Amtes, daß ich dich, sofern du in dieser Nacht nicht zurückkommst, morgen nicht jagen werde. Ebenso werde ich nicht in diesem Haus bleiben.«
    Flugs wie eine gleitende Schlange wandte es sich um. Einen Augenblick lang hätte ich vielleicht nach seinem breiten Rücken schlagen können. Sodann war’s verschwunden, und bis auf die offene Tür, den zertrümmerten Stuhl und die Blutlache (dunkler, glaube ich, als jedes Tierblut dieser Welt), die in den geschrubbten Dielen des Fußbodens versickerte, deutete nichts mehr darauf hin, daß es hier gewesen war.
    Ich ging zur Tür, verschloß sie, steckte die Klaue wieder in ihr Säckchen, das um meinen Hals hing, und rückte dann, wie die Bestie vorgeschlagen hatte, den Tisch unter das Loch, so daß ich mich mühelos in den Dachboden ziehen konnte. Casdoe und der Greis warteten in der hinteren Ecke mit dem Knaben Severian, in dessen Augen ich die Erinnerung an diese Nacht sah, die ihn wohl in den nächsten zwanzig Jahren nicht mehr loslassen würde. Das flackernde Licht einer Laterne, die von einem der Dachsparren baumelte, leuchtete ihnen.
    »Ich lebe noch«, sagte ich, »wie man sieht. Habt ihr gehört, was wir unten gesprochen haben?«
    Casdoe nickte stumm.
    »Hättet ihr mir das Licht gebracht, um das ich bat, hätte ich nicht getan, was ich tat. So glaubte ich halt, ich schulde euch nichts. An eurer Stelle würde ich das Haus bei Morgengrauen verlassen und in die Täler absteigen. Aber das überlasse ich euch.«
    »Wir hatten Angst«, flüsterte Casdoe.
    »Ich auch. Wo ist Agia?«
    Zu meiner Überraschung deutete der Greis und blickte auf die Stelle, zu der er zeigte. Wie ich entdeckte, war das Dachstroh aufgebrochen und bot einen Durchschlupf, der für Agias schlanken Leib gerade groß genug war.
    In jener Nacht schlief ich vor dem Feuer, nachdem ich Casdoe gewarnt hatte, daß ich jeden töten würde, der vom Dachboden herunterkäme. Am Morgen schritt ich ums Haus; erwartungsgemäß war Agias Messer aus dem Holzladen gezogen worden.
     

 
Das Schwert des Liktors
     
    Wir gehn«, erklärte mir Casdoe. »Aber ich mach’ uns ein Frühstück, ehe wir aufbrechen. Du brauchst nicht mit uns zu essen, wenn du nicht willst.« Ich nickte und wartete draußen, bis sie eine Schüssel mit einfacher Hafergrütze und einen hölzernen Löffel herausbrachte; dann begab ich mich damit zur Quelle und aß. Ich war von Büschen umschlossen und nicht zu sehen; an sich brach ich damit den Eid, den ich dem Alzabo geleistet hatte, dennoch wartete ich dort und beobachtete das Haus.
    Nach einer Weile kamen Casdoe, ihr Vater und der kleine Severian heraus. Sie trug ein Bündel und den Stock ihres Mannes; sowohl der Greis als auch der Knabe hatten ein eigenes Säckchen. Der Hund, der unter die Bodenbretter gekrochen sein mußte, als der Alzabo auftauchte (ich konnt’s ihm nicht verübeln, obgleich Triskele das nicht getan hätte), sprang hintendrein. Casdoe sah sich nach mir um. Da sie mich nicht fand, legte sie ein Bündel auf die Türschwelle.
    Sie schritten am Rand ihres kleinen Feldes entlang, das erst vor einem Monat oder so gepflügt oder besät worden war und nun von den Vögeln geerntet würde. Weder Casdoe noch ihr Vater warfen einen Blick zurück; aber der Knabe Severian hatte innegehalten, ehe er über den ersten Hügelkamm ging, um noch einmal das einzige Heim, das er kannte, zu betrachten. Seine Mauern aus Stein standen so robust wie seit eh und je, und aus dem Schornstein ringelte sich noch der Rauch des Frühstücksfeuers. Seine Mutter mußte ihn dann wohl gerufen haben, denn er fing zu laufen an und verschwand aus der Sicht.
    Ich verließ das tarnende Gebüsch und ging zur Tür. Das Bündel auf der Schwelle enthielt zwei weiche Guanakodecken und Dörrfleisch, das in sauberes Tuch eingeschlagen war. Ich verstaute das Fleisch in meiner Gürteltasche und faltete die Decken zusammen, damit ich sie über der Schulter tragen könnte.
    Der Regen hatte die Luft frisch und rein gemacht, und es war gut zu wissen,

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