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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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nach hinten retten. Seine Fänge, die so stark waren, einem den Schädel zu zerbeißen wie unsereins einen Apfel, hatten vor meinem Gesicht zugeschnappt und mir den Gestank seines fauligen Atems in die Nase geblasen.
    Wieder erdröhnte ein Donner – so dicht bei uns, daß ich nach seinem Rollen einen mächtigen Baum, dessen Tod er verkündet hatte, polternd umstürzen hörte; der Blitz, der jede Einzelheit mit seinem lähmenden Licht ausleuchtete, machte mich benommen. Geblendet holte ich in der nachfolgenden Finsternis mit Terminus Est aus, spürte, wie sich die Klinge in die Knochen fraß, hechtete zur Seite und schlug, als der Donner wieder grollte, abermals zu, haute diesmal aber nur ein Möbelstück kurz und klein.
    Dann konnte ich wieder sehen. Während der Alzabo und ich fintenreich manövriert hatten, war auch Agia rege geworden und wohl beim Aufzucken des Blitzes zur Leiter geflitzt. Sie war schon halb oben, und Casdoe griff, wie ich sah, herab, um ihr zu helfen. Der Alzabo stand offenbar so heil wie eh und je vor mir; aber dunkles Blut tropfte in eine Lache vor seinen Vorderfüßen. Sein Pelz wirkte im Feuerschein gerötet und zerrupft, und die Krallen seiner Füße, größer und gröber als die eines Bären, schienen gleichfalls dunkelrot und halb durchsichtig. Garstiger als der Ausspruch eines Leichnams je sein könnte, vernahm ich die Stimme, die »Mach auf, Liebling« an der Tür gerufen hatte.
    Sie sagte: »Ja, ich bin verwundet. Aber der Schmerz macht mir nicht viel, und ich kann stehn und gehn wie zuvor. Du kannst mir nicht ewig meine Familie vorenthalten.« Aus dem Munde eines Tieres kommend, war es die Stimme eines gestrengen, ausgeprägt ehrlichen Mannes.
    Ich zog die Klaue hervor und legte sie auf den Tisch, aber ihr Schein war nicht mehr als ein blauer Funke. »Licht!« rief ich Agia zu. Es kam kein Licht, und ich hörte, wie die Leiter ratternd von den Frauen nach oben gezogen und auf den Dachboden gelegt wurde.
    »Deine Flucht ist abgeschnitten, siehst du«, sagte das Untier, noch wie ein Mann sprechend.
    »So auch dein Vorankommen. Oder kannst du so hoch springen mit einem verwundeten Bein?«
    Mit einemmal wurde die Stimme zum klagenden Sopran eines kleinen Mädchens. »Ich kann klettern. Meinst du, ich käme nicht auf die Idee, den Tisch unter das Loch zu schieben? Ich, der ich sprechen kann?«
    »Du weißt also um dein Tiersein.«
    Wieder erklang die Männerstimme. »Wir wissen, wir sind im Tier, wie wir einst auch in der fleischlichen Hülle jener gewesen sind, die das Tier verschlungen hat.«
    »Und du ließest zu, daß es dein Weib und deinen Sohn verschlänge, Becan?«
    »Ich würd’s wünschen. Ich wünsche es. Casdoe und Severian sollen hier mit uns vereint werden, wie ich mich heute mit Severa vereint habe. Wenn das Feuer stirbt, stirbst auch du – folgst uns nach, wie sie uns folgen werden.«
    Ich lachte. »Hast du vergessen, daß du deine Wunde bekommen hast, als ich nichts sehen konnte?« Mit vorgestrecktem Terminus Est durchquerte ich die Stube bis zu den Trümmern des Stuhls, packte das, was vorher die Rückenlehne gewesen war, und warf es aufs Feuer, so daß die Funken nur so aufstoben. »Ein recht trockenes Stück Holz, würd’ ich meinen, von sorgfältiger Hand mit Bienenwachs eingerieben. Sollte ordentlich brennen.«
    »Nichtsdestoweniger wird die Dunkelheit kommen.« Das Untier – Becan – klang unendlich geduldig. »Die Dunkelheit wird kommen, und du wirst uns nachfolgen.«
    »Nein. Wenn der ganze Stuhl verschürt ist und das Licht erlischt, werd’ ich dir auf den Leib rücken und dir den Garaus machen. Ich warte nur, um dich bluten zu lassen.«
    Das nachfolgende Schweigen war um so gespenstischer, als nichts im Ausdruck des Untiers auf Denken schließen ließ. Ich wußte, genau wie die Trümmer von Theclas neuraler Chemie in die Nuklei gewisser frontaler Zellen meines Schädels mittels eines aus den Organen einer solchen Kreatur gewonnenen Sekrets eingelagert worden sind, so sind auch der Mann und seine Tochter in den düsteren Gehirnwindungen dieser Bestie umgegangen und haben sich am Leben gewähnt; aber was es mit diesem Geisterleben auf sich hätte, welche Träume und Gelüste es durchdrängen, davon hatte ich keine Ahnung.
    Schließlich sagte die Männerstimme: »In einer Wache oder zweien werd’ ich dich töten oder wirst du mich töten. Oder wir werden uns gegenseitig umbringen. Wenn ich nun umkehre und hinaus in die Nacht und den Regen gehe, wirst du dich

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