Das Schwert des Liktors
Wölfe an und nannte sie die Untertanen seines Reiches, und bald kamen neben den Wölfen auch Männer zu ihm, und obgleich er noch ein Knabe war, wirkten die Männer neben ihm stets klein, floß doch in seinen Adern das Blut von Frühsommer. Eines Nachts, als die wilden Rosen sich öffneten, kam sie zu ihm und erzählte ihm von seiner Mutter, Vogel des Waldes, und von ihrem Vater und ihrem Onkel und von seinem Bruder. Er suchte seinen Bruder, der ein Hirte geworden war, und mit den Wölfen und dem Schwarzen Mörder und vielen Männern gingen sie zum König und forderten ihr Erbe. Er war alt, und seine Söhne waren kinderlos gestorben, also gab er es ihnen, wovon sich Fisch die Stadt und die Äcker, Frosch indes das wilde Bergland nahm.
Aber die Zahl der Männer, die ihm folgten, wuchs. Sie raubten Weiber von anderen Völkern und zeugten Kinder, und als die Wölfe nicht mehr gebraucht wurden und in die Wildnis zurückkehrten, beschloß Frosch, sein Volk sollte zum Wohnen eine Stadt haben mit Mauern zu ihrem Schutz, falls unter den Menschen Krieg ausbräche. Er ging zu den Herden von Fisch und nahm sich davon eine weiße Kuh und einen weißen Stier, die er vor einen Pflug spannte, um damit einen Graben zu pflügen, womit der Verlauf der Mauer gekennzeichnet werden sollte. Fisch kam, um sein Vieh zurückzuverlangen, während die Leute den Mauerbau bereiteten. Als die Leute von Frosch ihm den Graben zeigten und ihm sagten, das solle ihre Mauer werden, lachte er und sprang mit einem Satz darüber; und sie, die wußten, daß aus verspotteten Anfängen nie etwas Großes werden könne, erschlugen ihn. Aber er war inzwischen zum Manne gereift, womit die Prophezeiung, die bei der Geburt von Frühlingswind aufgestellt worden war, in Erfüllung ging.
Als Frosch den toten Fisch sah, begrub er ihn im Graben, auf daß das Land fruchtbar werde. Denn das hatte ihn der Nackte gelehrt, welcher auch der Wilde oder Squanto geheißen wurde.
Der Kreis der Zauberer
Beim ersten Tageslicht betraten wir den Bergdschungel, wie man ein Haus betritt. Hinter uns umspielte das Sonnenlicht Gras, Gebüsch und Steine; wir drangen durch einen Vorhang aus verschlungenen Ranken, der so dicht war, daß ich ihn mit meinem Schwert durchschneiden mußte, und sahen vor uns nur Düsterkeit und aufragende Stämme. Kein Insekt summte hier, und kein Vöglein trällerte. Kein Lufthauch regte sich. Zunächst war die blanke Erde, auf der wir schritten, fast so steinig wie die Berghänge, aber wir waren noch keine Meile gegangen, als sie weicher wurde. Zuletzt gelangten wir an eine kurze Treppe, die mit dem Spaten ausgestochen worden war. »Sieh!« sagte der Knabe und deutete auf etwas Rotes, sonderbar Geformtes, das auf der obersten Stufe lag.
Ich hielt inne, um es zu betrachten. Es war ein Hahnenkopf; Nadeln aus einem dunklen Metall steckten in seinen Augen, und im Schnabel hielt er ein geringeltes Stück Schlangenleder.
»Was ist das?« staunte der Knabe mit großen Augen.
»Ein Fetisch, denke ich.«
»Von einer Hexe? Was hat das zu bedeuten?«
Ich besann mich auf das wenige, das ich über die falsche Kunst wußte. Als Kind war Thecla in der Obhut einer Amme gewesen, die Knoten geknüpft und gelöst hatte, um die Geburt zu beschleunigen, und angeblich das Gesicht von Theclas Zukünftigem (ob’s wohl das meine war?) auf einer spiegelnden Tortenplatte eines Hochzeitskuchens gesehen hatte.
»Der Hahn«, erklärte ich dem Knaben, »ist der Bote des Tages, und sein Krähen beim Morgengrauen bringt aus magischer Sicht sozusagen die Sonne zum Vorschein. Er wurde vielleicht deswegen geblendet, um nicht zu wissen, wann die Dämmerung anbricht. Die Hülle, die eine häutende Schlange abstreift, versinnbildlicht Läuterung oder auch Verjüngung. Der geblendete Hahn behält die alte Haut.«
»Aber was hat es zu bedeuten?«
Ich sagte, das wisse ich nicht, obgleich ich überzeugt war, es handle sich um einen Zauber gegen das Kommen der Neuen Sonne, und es gab mir einen Stich ins Herz, daß gegen diese Erneuerung, die ich als Knabe so innig herbeigesehnt hatte, an die ich aber schwerlich glaubte, irgend jemand sein könne. Zugleich war mir bewußt, daß ich die Klaue trug. Feinde der Neuen Sonne würden die Klaue gewiß vernichten, sollte sie ihnen in die Hände fallen.
Wir waren keine hundert Schritt weitergegangen, als rote Bänder von den Bäumen hingen; manche waren leer, andere aber mit etwas schwarz beschrieben, was ich nicht entziffern konnte –
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