Das Schwert des Liktors
dann, vor uns, wo sie scheinbar in der klaren Luft schwebten, schlanke Türme. »Thrax!« rief der Knabe überglücklich, was mir verriet, daß seine Mutter ihm viel erzählt und ihm, als sie und der Greis ihn aus dem Häuschen in die Fremde führten, versprochen hatte, ihn dorthin zu bringen.
»Nein«, entgegnete ich. »Es ist nicht Thrax. Sieht eher aus wie meine Zitadelle – unser Matachin-Turm, der Hexenturm, der Bärenturm und der Glockenturm.«
Er sah mich ungläubig an.
»Aber nein, das ist’s natürlich auch nicht. Aber ich war in Thrax, und Thrax ist eine Stadt aus Stein. Diese Türme sind aus Metall wie die unsrigen.«
»Sie haben Augen«, sagte der kleine Severian.
Und das stimmte. Zunächst glaubte ich, meiner Phantasie aufgesessen zu sein, insbesondere, da nicht alle damit versehen waren. Schließlich ging mir auf, daß uns einige den Rücken zukehrten und daß die Türme nicht nur Augen, sondern auch Schultern und Arme hatten; daß wir hier die metallenen Figuren von Kataphrakten – Kriegern, die vom Scheitel bis zur Sohle in Harnisch steckten – vor uns hatten. »Es ist keine richtige Stadt«, erklärte ich dem Knaben. »Was wir hier sehen, sind die Wächter des Autarchen, die in seinem Schoße warten und alle vernichten, die ihm etwas antun wollen.
»Werden sie uns was antun?«
»Eine furchterregende Vorstellung, nicht wahr? Sie könnten dich und mich wie Käfer unter ihren Füßen zertreten. Aber ich bin sicher, nichts dergleichen geschieht. Es sind nur Statuen, sinnbildliche Wächter, die hier zurückgelassen worden sind, um an seine Macht zu gemahnen.«
»Häuser sind auch da«, sagte der Knabe.
Er hatte recht. Die Gebäude reichten den aufragenden Metallgestalten kaum bis zur Hüfte, so daß wir sie zunächst ganz übersehen hatten. Das erinnerte mich wiederum an die Zitadelle, wo verstreut zwischen Türmen Bauten stehen, die nicht mit den Sternen wetteifern wollen. Vielleicht lag es lediglich an der dünnen Luft, aber ich gewann den Eindruck, als würden sich diese Gestalten zunächst langsam, dann immer rascher erheben, die Hände in den Himmel streckend und in diesen eintauchend, wie wir bei Fackelschein gern in die dunklen Wasser der Zisterne gehechtet waren.
Obgleich meine Stiefel auf den windigen Felsen geknirscht haben müssen, kann ich mich an ein solches Geräusch nicht erinnern. Vielleicht ging es unter in der weiten Bergwelt, so daß wir uns den stehenden Gestalten so leise näherten, als wären wir über Moos geschritten. Unsere Schatten, die zuerst hinter uns und dann links von uns lagen, als sie aufgetaucht waren, schrumpften zu unseren Füßen zusammen; und mir fiel auf, daß ich die Augen jeder einzelnen Gestalt sehen konnte. Ich redete mir ein, einige zuerst übersehen zu haben, obgleich sie in der Sonne ordentlich glänzten.
Schließlich schritten wir auf dem gewundenen Pfad zwischen ihnen und den sie umgebenden Gebäuden. Ich hatte mir vorgestellt, daß diese Häuser zu Ruinen verfallen wären wie in der vergessenen Stadt von Apu-Punchau. Sie waren verschlossen, verschwiegen und still; aber sie hätten durchaus erst ein paar Jahre alt sein können. Kein Dach war eingefallen, keiner der rechteckigen grauen Mauersteine war durch kletternde Ranken gelockert. Sie waren fensterlos, und ihre Architektur ließ keine Rückschlüsse darauf zu, ob es sich um Tempel, Festungsbauten, Totenhäuser oder sonstige mir bekannte Gebäudetypen handelte. Sie entbehrten allen schmückenden Beiwerks und wirkten darum kahl und schlicht, obgleich sie allesamt höchst fachmännisch ausgeführt waren; die unterschiedlichen Formen deuteten offenbar auf unterschiedliche Funktionen hin. Zwischen ihnen standen die glänzenden Figuren, als hätte sie ein jäher, frostiger Windstoß mitten in der Bewegung erstarren lassen – nicht wie Statuen stehen.
Ich wählte ein Gebäude aus und erklärte dem Knaben, wir würden gewaltsam in es eindringen, um, wenn wir Glück hätten, Wasser und vielleicht sogar genießbare Lebensmittelvorräte zu finden. Wie töricht und anmaßend von mir, stellte sich bald heraus. Die Türen waren so massiv wie die Mauern, und das Dach war so fest wie das Fundament. Selbst wenn ich eine Axt zur Verfügung gehabt hätte, wär’s mir vermutlich kaum gelungen, das Ding aufzubrechen, und mit Terminus Est darauf einzuschlagen, das wollte ich nicht riskieren. Mehrere Wachen vergeudeten wir damit, klopfend und stochernd eine Schwachstelle zu suchen. Das zweite und dritte
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