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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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und ich drehte an jedem Knopf, den ich finden konnte, und kippte jeden Schalter, um dem Gerät irgend etwas Nahrhaftes zu entlocken. Der Junge sah mir zu, und nachdem ich eine Weile hier und dort herumhantiert hatte, wollte er wissen, ob wir nun endgültig verhungern müßten.
    »Nein«, sagte ich ihm. »Wir können es viel länger ohne Essen aushalten, als du glauben würdest. Etwas zu trinken ist viel, viel dringlicher, aber wenn wir hier nichts finden, wird’s weiter oben im Berg bestimmt etwas Schnee geben.«
    »Wie ist er umgekommen?« Aus irgendeinem Grund hatte ich mich nicht dazu überwinden können, den Leichnam anzufassen; nun strich der Knabe plump mit der Hand über seinen dürren Arm.
    »Man stirbt nun mal. Das Erstaunliche ist, daß so eine Mißgeburt überhaupt gelebt hat. Normalerweise stirbt so etwas schon bei der Entbindung.«
    »Glaubst du, er wurde hier zurückgelassen, als seine Kameraden fortgingen?« fragte er.
    »Lebend zurückgelassen, meinst du? Durchaus möglich. Vielleicht war drunten in den Tälern kein Platz für ihn. Vielleicht wollte er nicht dorthin. Oder er wurde hier auf diesem Lager wegen schlechter Führung festgehalten. Schon möglich, daß er gar irr oder ungeheuer jähzornig war. Wenn etwas dergleichen zutrifft, wird er wohl seine letzten Tage damit verbracht haben, in den Bergen zu wandern und hierher zum Essen und Trinken zurückzukehren und gestorben sein, nachdem sein Wasser- und Nahrungsvorrat aufgebraucht gewesen ist.«
    »Also finden wir hier kein Wasser«, versetzte der praktisch denkende Knabe.
    »Richtig. Dennoch wissen wir nicht, ob es sich so abgespielt hat. Er könnte aus anderen Gründen gestorben sein, ehe die Vorräte zur Neige gingen. Wenn wir zudem von dem, was wir sagten, ausgehen, ist er wohl irgendein Maskottchen oder gehätscheltes Tierchen für die Leute gewesen, die diesen Berg geschaffen haben. Dies ist ein sehr aufwendiger Käfig für ein Tierchen, meinst du nicht auch? Jedenfalls glaube ich nicht, daß ich diese Maschine je wieder in Gang setzen kann.«
    »Wir sollten runtergehn«, eröffnete mir der Knabe, als wir den runden Kuppelbau verließen.
    Ich sah noch einmal zurück und dachte mir, wie dumm all meine Ängste gewesen seien. Die Türen blieben offen; nichts hatte sich gerührt, nichts hatte sich verändert. Wenn es je eine Falle gewesen war, dann gewiß eine, die vor Jahrhunderten eingerostet war.
    »Das meine ich auch«, sagte ich. »Aber der Tag neigt sich dem Ende – sieh, wie lang unsere Schatten jetzt sind! Ich möchte nicht gern von der Nacht überrascht werden, wenn wir auf der anderen Seite absteigen, also werd’ ich versuchen, den Ring zu erreichen, den wir heut’ früh gesehen haben. Vielleicht finden wir auch Gold und Wasser. Heut’ nacht schlafen wir windgeschützt im Kuppelbau, und morgen steigen wir in aller Früh’ an der Nordseite ab.«
    Er nickte daraufhin und begleitete mich recht bereitwillig, als ich mich aufmachte, einen Weg zum Ring zu suchen. Er war am südlichen Arm, so daß wir gewissermaßen zu der Seite zurückkehren mußten, die wir erklommen hatten, obwohl wir aus dem Südosten zu den Kataphrakt-Statuen und Häusern gekommen waren. Ich hatte befürchtet, der Aufstieg zum Arm wäre schwierig; wo die Brust und der Oberarm sich vor uns auftürmten, fand ich jedoch, was ich mir schon lange zuvor gewünscht hatte: eine schmale Treppe. Es waren aberhundert Stufen zu nehmen, was dennoch große Mühe kostete, zumal ich den Knaben die meiste Zeit trug.
    Der Arm bestand aus glattem Stein und war so breit, daß der Knabe wohl kaum hinunterfallen könnte, solange wir in der Mitte blieben. Ich führte ihn bei der Hand und schritt recht stürmisch voran, so daß mein Mantel im Wind laut flatterte.
    Zu unserer Linken lag der Aufstieg, den wir am Vortag angegangen waren; dahinter sah ich den Sattel zwischen den Bergen, grün unter seiner Urwalddecke. Wiederum dahinter ragte in dunstiger Ferne jener Berg auf, wo Becan und Casdoe ihr Heim errichtet hatten. Im Gehen versuchte ich, ihr Häuschen auszumachen, oder zumindest die Gegend, in der es stand, und entdeckte schließlich, was mir wie jenes Kliff vorkam, über das ich geklettert war, um zu ihm zu gelangen – einen winzigen Farbtupfer an der Seite dieses kleineren Berges mit dem flimmernden Wasserfall gleich schillernden Sonnenstäubchen mitten darin.
    Nachdem ich es erspäht hatte, hielt ich inne, wandte mich um und blickte zum Gipfel, über dessen Hang wir wanderten. Nun

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