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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Gebäude, das wir uns vornahmen, erwies sich als genauso schwierig wie das erste.
    »Da drüben steht ein rundes Haus«, sagte der Knabe schließlich. »Ich will gehn und für dich nachsehn.«
    Weil ich mir gewiß war, es drohe ihm an diesem verlassenen Ort keinerlei Gefahr, hatte ich dagegen nichts einzuwenden.
    Bald war er zurück. »Die Tür ist offen!«
     

 
Der Leichnam
     
    Ich fand nie heraus, welchem Zweck die übrigen Gebäude gedient hatten. Ebensowenig verstand ich diesen Rundbau mit seinem Kuppeldach. Seine Wände waren aus Metall – nicht dem dunkel glänzenden Metall unserer Zitadellentürme, sondern einer hellen, poliertem Silber ähnlichen Legierung.
    Dieses schimmernde Bauwerk stand auf einem erhöhten, über Treppen zugänglichen Platz, was mich verwunderte, denn die riesenhaften Kataphrakte in ihrem altertümlichen Harnisch standen ebenerdig in den Straßen. Es waren rundum insgesamt fünf Türen eingelassen (denn wir hatten es umkreist, ehe wir uns ins Innere wagten), die allesamt offenstanden. Indem ich diese und den Boden davor genauestens betrachtete, wollte ich feststellen, ob sie schon jahrelang offen gewesen wären; da auf diesem erhöhten Platz wenig Staub lag, blieb ich darüber in Ungewißheit. Als wir das Gebäude von außen besichtigt hatten, sagte ich dem Knaben, er solle mich vorausgehen lassen, und trat ein.
    Es geschah nichts. Auch nachdem der Knabe mir hereingefolgt war, schlossen sich die Türen nicht, warfen sich keine Feinde auf uns, verfärbte kein Energiestoß die Luft und gab der Boden unter unseren Füßen nicht nach. Nichtsdestoweniger hatte ich das Gefühl, irgendwie in eine Falle geraten zu sein: draußen im Berg waren wir, wenn auch hungrig und durstig, so doch frei gewesen, hier aber waren wir’s nicht mehr. Ich glaube, ich hätte mich umgedreht und die Flucht ergriffen. Nun fühlte ich mich jedoch verpflichtet, uns Wasser und Nahrung zu finden.
    Es ist dieser Kuppelbau mit vielen Gerätschaften ausgestattet gewesen, für die ich keinen Namen habe. Dabei hat es sich weder um Möbel noch Kisten oder Maschinen gehandelt, wie ich sie unter diesem Begriff verstehe. Die meisten waren sonderbar gewinkelt; ich bemerkte einige, die offenbar Sitznischen gewesen waren, obschon der Sitzende sehr beengt und mit dem Gesicht nicht seinen Gefährten, sondern einem Teil der Vorrichtung zugekehrt gewesen wäre. Andere enthielten Alkoven, worin vielleicht einmal jemand geruht hatte.
    Diese Vorrichtungen standen neben Korridoren, breiten Korridoren, die gerade wie die Speichen eines Rades zur Mitte des Bauwerks hin verliefen. Als ich in jenen blickte, durch den wir hereingekommen waren, entdeckte ich an seinem Ende undeutlich etwas Rotes und darüber etwas viel Kleineres, Braunes. Zunächst schenkte ich dem keine Beachtung, aber nachdem ich mich vergewissert hatte, daß die erwähnten Vorrichtungen für uns weder nützlich noch gefährlich waren, führte ich den Knaben dorthin.
    Der rote Gegenstand war eine Art Sofa, ein sehr aufwendig gearbeitetes mit Riemen zum Festschnallen eines Klienten. Umgeben war es obendrein von Gerät, das tatsächlich Ernährungs- oder sanitären Zwecken gedient hatte, wie es mir schien. Ich stand auf einem kleinen Podest, worauf der mumifizierte Leichnam eines Mannes mit zwei Köpfen lag. Die dünne, trockene Höhenluft hatte den Korpus längst gedörrt – wie die geheimnisvollen Häuser hätte er ein Jahr oder ein Jahrtausend alt sein können. Der Mann war größer als ich, vielleicht größer als ein Beglückter gewesen und hatte bärenstarke Muskeln gehabt. Jetzt könnte ich ihm, dachte ich, den Arm mit einer läppischen Geste aus der Schulter reißen. Er trug weder Lendenschurz noch andere Kleidung, und obschon wir an plötzliche Veränderungen in der Größe der Fortpflanzungsorgane gewöhnt sind, muteten mich die seinen seltsam kümmerlich an. Es war auf den Köpfen etwas Haar verblieben, das jedoch, diesen Eindruck gewann ich, auf dem rechten schwarz und auf dem linken Schädel blond gewesen war. Die Augen beider Häupter waren geschlossen, die Münder mit ein paar Zähnen darin geöffnet. Wie ich bemerkte, waren die Riemen, die dieses Geschöpf hätten fesseln können, unverschlossen.
    Zunächst war mir jedoch das Gerät, das ihn einst ernährt hatte, wesentlich wichtiger. Ich sagte mir, daß alte Apparaturen oft erstaunlich dauerhaft seien und diese hier, auch wenn sie lange Zeit ungewartet herumgestanden hätten, recht gut erhalten schienen;

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