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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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verlangsamte meinen Schritt erst, als ich schon fast die schmale Treppe erreicht hatte, die über Aberhunderte von Stufen in den Schoß des Berges führte. Dann setzte ich mich und suchte abermals jenen Farbtupfer in der Felswand, worunter Casdoes Heim gestanden hatte. Mir fiel ein, wie der braune Hund gebellt hatte, als ich mich ihm, aus dem Walde kommend, näherte. Er hatte das Hasenpanier ergriffen, dieser Hund, als der Alzabo auftauchte, war aber mit den Zähnen im verdorbenen Fleisch eines Zoanthropen gestorben, während ich, ebenfalls aus Feigheit, aus sicherer Entfernung zusah. Mir fiel Casdoes müdes, schönes Gesicht ein, der hinter ihrem Rock hervorlugende Knabe, der Greis, im Schneidersitz mit dem Rücken zum Feuer hockend und von Fechin erzählend. Nun waren sie alle tot – Severa und Becan, die ich nie zu Gesicht bekommen hatte; der Greis, der Hund, Casdoe und jetzt auch der kleine Severian, selbst Fechin, alle tot, verloren im Nebel, der unsere Tage verschleiert. Die Zeit selbst ist, wie’s mir scheint, gleich einem fest verankerten Eisengitterzaun mit ihrer endlosen Folge von Jahren; und wir ziehen vorbei wie Gyoll, auf unserem Weg zu einem Meer, von dem wir nur als Regen zurückkehren werden. Dort auf dem Arm des Hünen habe ich erfahren, was der Ehrgeiz, die Zeit zu erobern, ist – ein Ehrgeiz, neben dem das Streben nach fernen Sonnen nicht mehr ist als die Lust eines federgeschmückten Häuptlings zum Unterwerfen eines anderen Stammes.
    Dort saß ich, bis die im Westen aufsteigenden Berge die Sonne fast bedeckt hatten. Es hätte mir leichter als das Erklimmen fallen müssen, das Absteigen über die Treppe, aber ich war nun sehr durstig, und bei jedem Schritt spürte ich in den Knien einen Stich. Das Licht war fast entschwunden und der Wind eisig. Eine Decke war mit dem Knaben verbrannt; ich entfaltete die andere und legte sie mir über dem Mantel um Brust und Schultern.
    Als ich etwa zur Hälfte unten war, rastete ich kurz. Nur noch eine dünne rötlichbraune Sichel war vom Tag übrig. Schmaler werdend, verschwand dann auch sie; gleichzeitig damit erhob ein jeder der riesenhaften, metallenen Kataphrakte die Hand zum Gruß. So still waren sie, so regungslos, ich hätte fast glauben können, sie seien mit erhobenen Armen geschaffen worden, als ich sie so sah.
    Dieses Wunder vertrieb einstweilen meine ganze Trauer, so daß ich nur staunen konnte. Ich blieb, wo ich war, keine Bewegung wagend. Die Nacht huschte über die Berge; im letzten Dämmerlicht beobachtete ich, wie die mächtigen Arme sich senkten.
    Benommen eilte ich zu den stummen Häusern, die im Schoß des Hünen standen. Hatte ich auch erleben müssen, wie ein Wunder versagte, so hatte ich doch ein neues geschaut; und selbst ein scheinbar sinnloses Wunder ist ein unerschöpflicher Quell der Hoffnung, führt es uns doch vor Augen, daß – weil wir nicht alles verstehen – unsere Niederlagen, um soviel zahlreicher als unsere eitlen Siege, ebenso trügerisch sein mögen.
    Durch irgendeinen dummen Fehler brachte ich es zustande, den Weg zum runden Kuppelbau zu verfehlen, worin wir, wie ich dem Knaben versprochen hatte, die Nacht verbringen wollten, war aber zu müde, lange danach zu suchen. Statt dessen fand ich mir eine geschützte Stelle in ausreichendem Abstand zum nächsten Wächter aus Metall, wo ich mich, notdürftig gegen die Kälte eingewickelt, ausstreckte. Obschon ich wohl sofort in Schlaf gefallen war, wurde ich bald durch leise Schritte geweckt.

 
Typhon und Piaton
     
    Nachdem ich die Schritte vernommen hatte, stand ich auf, zückte mein Schwert und wartete in einem Schatten für wenigstens eine Wache, wie mir schien, obwohl es bestimmt viel kürzer war. Zweimal drangen sie noch an meine Ohren, flink und weich, dennoch einen großen Mann erahnen lassend – einen Koloß von Mann, leichtfüßig und athletisch eilend, fast laufend. Hier waren die Sterne in ihrer ganzen Pracht zu sehen; so hell wie für die Seeleute, deren Häfen sie sind, wenn sie emporsteigen, um den goldenen Flor zu entfalten, der einen ganzen Kontinent bedecken würde. Fast wie bei Tag konnte ich sie sehen, die regungslosen Wächter und die Bauten um mich herum, in das vielfarbige Licht der abertausend Sonnen getaucht. Wir denken mit Schrekken an die Eiswüsten von Dis, dem äußersten Gefährten unserer Sonne – aber wie vielen Sonnen sind wir der äußerste Gefährte? Für die Leute von Dis (falls es sie gibt) ist alles eine einzige lange, gestirnte

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