Das Schwert des Sehers
versuchte, etwas zu sehen, doch sein neuer Sinn ließ ihn im Stich. Dauras schloss die Augen. Die Welt wurde ein wenig klarer. Er gewann nicht zurück, was er verloren hatte, aber er hörte seine Angreifer besser. Er hatte ein Gefühl, wo sie standen. Er roch ihren Schweiß, und das Duftwasser, das einer der Ritter verwendete.
In diese Richtung machte er einen Ausfall. Seine Klinge fuhr durch Stoff und kam wieder frei. Dauras presste die Augenlider fest zusammen und verließ sich ganz auf sein Gehör. Er nahm ein Sausen in seinem Rücken wahr, fuhr herum und fing einen Schwertstreich ab. Dann traf ihn ein weiterer Schlag, wieder mit der flachen Seite, und brachte ihn ins Stolpern.
»Der Schwertmönch wehrt sich«, sagte einer der Ritter.
»Das macht es interessanter«, sagte ein anderer. »Lasst uns eine Jagd daraus machen.«
»Ja«, meinte ein dritter. »Lauf, blinder Mönch. Wir lassen dir einen Vorsprung.«
Dauras sprang in die Richtung, aus der die Stimme kam. Seine Klinge fuhr nach vorn, und die Spitze traf auf Fleisch. »Verflucht, mein Arm«, rief der Ritter.
»Ich laufe nicht weg vor euch«, knurrte Dauras.
Er bekam einen Hieb auf den Hinterkopf und taumelte drei Schritte vorwärts. Er konnte sein Schwert gerade noch festhalten. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er geplatzt, und er hörte die Schwertklinge seines Feindes, die immer noch summte und vibrierte – oder vielleicht war es sein eigener Schädel, der brummte.
»Lauf«, drang eine leise Stimme durch den Aufruhr. »Das nächste Mal schlage ich mit der Schneide zu.«
Dauras öffnete die Augen und rannte los. Er orientierte sich an den Schatten, er erahnte die Mauern. Aber er lief langsam und unsicher. Immer wieder machte er die Augen zu, er tastete mit dem Schwert und mit den Fingerspitzen, er schaute und wankte von einer Straßenseite zur anderen.
Die Verfolger blieben johlend in seiner Nähe.
Dauras fragte sich, warum niemand aufmerksam wurde. Wo war die Nachtwache, so nah beim Palast?
Er stolperte über einen Pflasterstein, ruderte mit den Armen und taumelte gegen eine Wand. Schwer atmend blieb er stehen. Er presste die Augenlider zusammen und hörte, wie die Verfolger ihn umringten.
»Das war’s schon?«, fragte einer der Ritter. »Ich hatte mir mehr versprochen von einem Schwertkämpfer, vor dem uns alle gewarnt haben.«
»Mach Schluss, Thomus«, sagte eine weitere Stimme. »Das wird dem Alten nicht gefallen, wenn wir zu viel Aufsehen erregen.«
»Ist gut«, sagte der erste Ritter. »Er ist es ohnehin nicht wert.«
Dauras lehnte an der Wand, beruhigte seinen Atem und hielt die Augen geschlossen. Die Schneeflocken fielen auf sein Gesicht und blieben daran haften wie feine Schweißperlen. Er lauschte auf seine Gegner. Seine ganz spezielle Wahrnehmung hatte er verloren, aber er war immer noch ein Priester des Schwertes … Was auch immer man im Kloster behauptet hatte.
Du musst an deinen Schwächen arbeiten.
Dauras erinnerte sich an die Worte des Abtes.
Nun, Schwächen hatte er jetzt genug. Aber er war nicht schwach. Er würde sich nicht kampflos ergeben.
Dauras entsann sich der Bilder , die er so verachtet hatte. Er trat einen Schritt von der Wand weg und nahm eine Grundstellung ein. Dutzende von Bewegungsmustern und Reaktionen stiegen in seinen Gedanken auf, Abläufe, die er von dieser Position aus abrufen konnte. Er hatte viel verloren, doch er konnte immer noch auf das zurückgreifen, was er gelernt hatte – und auf seine Schnelligkeit. Sein Herz beruhigte sich, seine Angst schwand, und eine Leere zog in seinen Geist.
Er öffnete die Augen wieder und versuchte, das, was er sah, zu deuten. Da waren Schatten, aber Dauras konnte nicht ausmachen, wo seine Angreifer standen. Diese Formen ergaben einfach keinen Sinn …
Da bewegte sich etwas.
Die Formen entzogen sich ihm, aber die Bewegung war erstaunlich klar. Dauras sah die Richtung.
Er schlug zu und wich aus, eine abgezirkelte Kombination, die er im Kloster gelernt hatte und die zu der Bewegung zu passen schien, die er sah. Er fühlte ein leichtes Zupfen an seiner Klinge. Die Bewegung, die er gesehen hatte, entfernte sich, und dann hörte er zwei Schritte entfernt ein Scheppern. Eisen klirrte über das Pflaster.
Ein Schrei ertönte vor ihm.
Und Dauras rannte los. Er stürmte mitten hinein in diesen Schrei und stieß den Angreifer, den er getroffen hatte, zur Seite. Er sprang über ihn hinweg und in die dunkle Gasse hinein. Er lief, so schnell er es
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