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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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allein aufs Klo kannst.«
    Sie gab ihm warme Kleidung und führte ihn nach draußen. Wenn er gehen konnte, befand sie, brauchte er als Nächstes frische Luft, um sich weiter zu erholen. Sie musste ihn stützen, als sie durch ein enges Treppenhaus nach unten stiegen.
    »Wir sind nicht in deinem Haus«, stellte Dauras fest.
    »Nein«, erwiderte Meris. »Ich bin umgezogen. Das ist sicherer für uns beide.«
    Sie öffnete die Haustür, und Dauras blinzelte, weil die Helligkeit ihn blendete. Im ersten Augenblick sah er nur Licht, und er fürchtete schon, dass seine Augen zu empfindlich waren für den hellen Tag. Aber dann nahm er doch wieder Linien und Schatten wahr, und ein Geruch stieg ihm in die Nase. Er erkannte, dass dieses Licht eine Farbe war.
    »Das ist weiß!«, rief er. »Es hat geschneit.«
    »Ja«, sagte Meris. »Das Brennholz ist teuer geworden in der Stadt. Ich musste die Fenster abdichten bis auf ein paar schmale Ritzen. Hier draußen können wir deine Augen wirklich auf die Probe stellen.«
    Sie führte Dauras die Straße hinunter. Er betastete die Mauern und konnte mit einem Mal die Steine darin sehen. Er streckte die Hand nach einem Schatten aus, der an ihnen vorüberhuschte. Meris zog ihn zurück.
    »Ich muss Dinge anfassen, damit ich sie wahrnehmen kann«, protestierte Dauras.
    »Wenn du jeden Vorbeigehenden anfasst, dann hätten wir uns gar nicht erst ein Versteck zu suchen brauchen«, entgegnete Meris.
    Vorsichtig gingen sie weiter. Dauras wusste, dass Schnee weiß war. Diese Farbe kannte er also. Aber dazwischen lugten noch andere Farben hervor, und eine davon stach ihm besonders ins Auge. Sie war so strahlend, so intensiv, dass sie sich von dem Schnee abhob wie eine Botschaft für ihn.
    »Ist das ebenfalls ein Mensch?«, erkundigte er sich. »Ein Kleidungsstück vielleicht?«
    »Wo?«, fragte Meris. Sie folgte seiner Geste, doch sie schien nichts wahrzunehmen.
    »Dort drüben«, sagte Dauras. »Es ist so eine auffällige Farbe.«
    Meris stutzte. Dann lachte sie. »Du meinst die Mauer ? Das sind rote Tonziegel. Es ist ein Haus auf der anderen Straßenseite.«
    »Oh.« Dauras erkannte, dass er Farben sah. Aber er hatte keine Vorstellung von der Größe oder von der Entfernung. Sein Hochgefühl schwand. Als sie weitergingen, drehte er sich doch nach der Wand um   – etwas in ihm konnte sich nicht sattsehen an diesem Rot.
    Meris führte ihn um einige Hindernisse herum, und allmählich wurde er mutiger. Er schritt aus, doch dann stolperte er.
    »Verflucht!«, rief er. »Was war das.«
    »Du bist gestolpert«, stellte Meris fest.
    »Das merke ich«, erwiderte er. »Etwas hat mir die Beine weggerissen.«
    »Du bist über den Rand der Gosse getreten.«
    Dauras beugte sich hinab und betastete eine weiße Fläche, die von keiner Linie durchbrochen war. Doch dann fühlte er, wie der Boden an einer Stelle ein paar Fingerbreit abfiel. Die Farbe des Weges war dieselbe wie die Farbe der Senke. Wie sollte man eine solche Stufe mit den Augen erkennen?
    Er stellte die Frage laut. Meris verdrehte die Augen, das hörte er an ihrer Stimme. »Wie man so etwas erkennt? Man sieht einfach, dass der Boden ein wenig tiefer ist. Du musst genauer hinschauen.«
    »Es ist anstrengend«, sagte Dauras. »Lass uns wieder hineingehen.«
    Die Augen taten ihm weh. Und der Kopf. Sehen war mühsam. Der Sinn, den er früher besessen hatte, war ganz von selbst immer da gewesen. Mit den Augen sah er nur, wenn er sich konzentrierte, wenn er den Blick auf etwas richtete und darüber nachdachte, was es sein mochte.
    Wie sollte er das jemals einen ganzen Tag lang durchhalten?
    Vielleicht ist es ein Muskel, dachte er. Ein Muskel, der kräftiger und ausdauernder wird, wenn ich ihn regelmäßig benutze. Ich darf nicht zu früh aufgeben.
    Sie kehrten in das Haus zurück. Dauras setzte sich auf das Bett. Eine Weile blieb er reglos sitzen und stützte die Arme auf. Er starrte ins Leere, und es tat ihm wohl, die Welt ins Chaos fallen zu lassen und nicht länger zu versuchen, die Eindrücke zu deuten.
    »Geht es?«, fragte Meris.
    »Ich werde das üben müssen.«
    Meris schnaubte. »Wer hätte je davon gehört, dass man Sehen lernen muss? Entweder du siehst die Dinge, oder du siehst sie nicht.«
    »Ich sehe sie«, sagte Dauras. »Und ich sehe sie nicht . Aber ich denke, es wird besser.«
    »Du hast eine Menge zu lernen. Du musst auch wieder stark und schnell werden, wenn wir den Kampf gegen den Kanzler wagen wollen.«
    »Ja.« Dauras hielt den Kopf

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