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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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sie sich auch um mich gekümmert.«
    »Das tut mir leid«, sagte Dauras.
    »Es hat nichts mit dir zu tun«, erwiderte Meris. »Oder vielleicht doch. Ich wäre nie so tief in diese Hofintrigen hineingeraten, wenn man mich nicht ausgeschickt hätte, um dich zu suchen. Du schuldest mir deine Hilfe.«
    Dauras schwieg. Bis jetzt war er derjenige gewesen, der ihre Unterstützung brauchte, und er hatte keine Ahnung, ob sich das jemals ändern würde.
    »Was hast du gemacht?«, fragte er. »Hast du herausgefunden, wo deine Tochter ist?«
    »Nein«, sagte Meris. »Aber wir können uns beide denken, wer sie hat.«
    »Und ich soll dir helfen, sie zurückzuholen?«
    »Du sollst mir helfen, irgendetwas zu tun«, erwiderte sie. »Ich weiß nicht, was. Der Kanzler hat den geheimen Botendienst zerschlagen. Er hat die Wachen neu besetzt. Tordis   … ist irgendwo anders. Er hält sie gewiss nicht in seinem Haus fest. Ich warte auf eine günstige Gelegenheit, und wenn es so weit ist, könnten deine Fähigkeiten von Nutzen sein. So wie ich sie vor drei Monaten erlebt habe.«
    »Du warst nicht wieder auf der Insel?«, fragte Dauras. »Du hast die Kaiserin nicht noch einmal gesehen?«
    »Nein«, sagte Meris. »Ich würde Tordis’ Leben sinnlos opfern, und der Kanzler wüsste sofort, dass ich gegen ihn arbeite.«
    »Du bist untergetaucht. Bringt das deine Tochter nicht auch in Gefahr?«
    »Sie bleibt als Geisel nützlich für ihn. Solange der Kanzler glaubt, dass er mich damit einschüchtern kann und ich nichts gegen ihn unternehme, wird er Tordis als Druckmittel behalten. Es ist ein Patt.«
    Dauras arbeitete hart in den kommenden Tagen. Mit den Übungen, die er im Kloster gelernt hatte, kehrte seine Körperkraft rasch zurück. Was die Ausdauer anging, hatte er mitunter das Gefühl, als würde ihm das Flusswasser noch immer die Lungen verstopfen.
    Was das Sehen betraf, ging es langsamer aufwärts.
    Die Farben sah er ganz klar, und er freute sich jedes Mal, wenn er eine neue entdeckte. Von Meris ließ er sich benennen, was er da sah, und er konnte regelrecht versinken im Anblick eines bisher unbekannten Farbtons. Doch was nutzte das alles, solange sich aus den Farben kein sinnvolles Ganzes herausschälen wollte?
    »Da drüben«, sagte er, als er mit Meris durch die Straßen ging. Sie hatte ihm einen langen Stock besorgt, mit dem er sich nun tatsächlich fortbewegte wie ein Blinder. Mitunter wollte er lachen über diese Ironie, an anderen Tagen war ihm eher danach, den Stock zu zerschlagen. »Das ist ja wohl der dickste Mensch, den ich jemals wahrgenommen habe. Oder ist das ein Ritter mit Rüstung?«
    »Das ist eine Droschke«, antwortete Meris.
    »Oh.« Dauras beobachtete, wie der schwere Schatten langsam die Straße hinunterrollte. Er hatte das Rattern der Räder auf dem Pflaster gehört, aber solche Geräusche waren überall in der Stadt, und er konnte sie nur schlecht den Dingen zuordnen, die er sah.
    »Ich denke darüber nach«, sagte Meris, »ob es mir nicht mehr bringt, wenn ich dich einem deiner Feinde bei Hofe ausliefere. Im Austausch gegen eine Gefälligkeit.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass du zu den Menschen gehörst, die mit Krüppeln ihre Scherze treiben«, erwiderte Dauras.
    »Ich hätte auch nie gedacht, dass du einmal ein Krüppel bist, und ein selbstmitleidiger noch dazu«, gab Meris zurück. »Dennoch ist es geschehen.«
    Sie waren unterwegs zu einem der Märkte am Fluss. Es war lange kein Schnee mehr gefallen, und für Dauras war die ganze Stadt wie ein Flickenteppich aus Schlamm und dunklen Flecken und aus Schneeresten in den Winkeln und auf den Dächern. Er sah keine Formen, nur Farben, und dann und wann glaubte er, etwas darin zu erkennen.
    »Ich würde gern den Frühling sehen«, sagte er. »Warum hat mir nie jemand gesagt, dass der Winter so trist ist für die Augen?«
    »Dieser Markt ist trist«, antwortete Meris. »Die Stände sind schäbig und fast leer. Die Stadt geht zugrunde.«
    Dauras berührte eine der Buden. Er sah die Stützstrebe,sobald er sie ertastete   – zuvor hätte er nicht sagen können, ob es ein menschlicher Arm war oder nur eine Furche auf der Straße vor ihm. Die Linien hatten keine Tiefe, keine Entfernung und keinen Zusammenhang. Aber wenn er die Dinge spürte, gewannen sie all das, und sein Geist verstand mit einem Mal, was sein Auge sah.
    Sie kamen an einem eingezäunten Gelände vorüber, und Dauras tastete nach den Schatten, die sich über den Zaun schoben. Er fühlte etwas Weiches,

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