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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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Feuchtes und Warmes. Fell. Harte Knochen. Er hörte, dass es Kühe waren. Er roch es. Mit seinen alten Sinnen hätte er sie gleich erfasst, doch seine Augen wollten einfach nicht zusammenfügen, was sein Gedächtnis und seine Finger ihm verrieten.
    »Komm weiter.« Meris zog ihn fort. »Wir wollen die Kühe nicht kaufen, du musst sie nicht betatschen.«
    »Ich muss Dinge berühren, damit ich sie sehen lernen kann.«
    »Bei Gott, ich weiß.« Meris seufzte. »Aber es wäre mir lieber, wenn du das in unserem Zimmer tust. Mit den Dingen, die ich dir bringe.«
    »Augenblick«, sagte Dauras. »Ich muss etwas ausprobieren. Wird dort   … Geschirr verkauft?« Er wies auf einen Stand.
    »Schmuck«, erwiderte Meris. »Anhänger und Armreifen aus Holz.«
    »Das ist gut«, sagte Dauras. »Führe mich hin.«
    »Wir brauchen keinen Schmuck«, sagte Meris.
    »Ich will keinen Schmuck«, entgegnete Dauras. »Ich muss etwas ausprobieren.«
    Er tastete sich mit dem Stock vorwärts. Widerstrebend begleitete Meris ihn zu dem Stand. Sie plauderte mit der Händlerin.
    »Ist Euer Vater blind?«, fragte die. »Will er Euch ein Geschenk aussuchen?«
    Dauras fuhr mit den Fingern über die Schmuckstücke und verzog das Gesicht. Vater . Er hatte Lust, die Frau mit seinem Stock zu schlagen.
    »Keiner weiß, was er will«, hörte er Meris sagen. »Aber er lässt sich auch nicht davon abbringen.«
    »Das ist ein Fisch!« Dauras hob einen Anhänger vor die Augen.
    »Ja, ein Fisch«, bestätigte Meris. Er sah ihr Gesicht. Er sah ihren Mund. Er sah, wie sie unwillig die Lippen schürzte. Die Händlerin, die schräg hinter ihr stand, nahm er nur ganz unbestimmt wahr, Dauras war nicht vertraut mit ihren Zügen.
    Er betastete ein weiteres Schmuckstück. »Hm   … irgendetwas«, sagte er und legte es beiseite. Bei dem Nächsten spürte er Flügel. Er hielt sich den Anhänger vor die Augen, strich mit den Fingerspitzen darüber und versuchte, die Linien zu sehen.
    »Ist das ein Vogel?«, fragte er.
    Meris nahm es ihm aus der Hand. »Ein Drache.«
    »Ich habe noch nie einen Drachen berührt«, sagte er.
    »Das reicht jetzt.« Meris zog ihn entschlossen von dem Stand fort. »Man könnte wirklich meinen, dein Geist hätte Schaden genommen. Weißt du, dass du dich aufführst wie ein altersschwacher Greis?«
    Da war etwas in ihrer Stimme. Dauras streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus. Sie wandte den Kopf ab. »Weinst du?«, fragte er.
    »Was denkst du denn?«, fuhr sie ihn an. »Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll. Ich   …«
    »Mir ist etwas aufgefallen«, sagte Dauras. »Ich sehe die Dinge meistens, wenn ich sie ertaste. Ich glaube, die Berührung hilft mir, eine Verbindung zu den Augen herzustellen   – doch nur, wenn ich das Ding schon einmal berührt habe, alsich meine alten Sinne noch hatte. Wenn ich es vorher nie ertastet habe, wie die Kuh oder den Drachen, fehlt diese Brücke.«
    »Bedeutet das, du kannst in Zukunft nur erblicken, was du früher einmal angefasst hast?«, fragte Meris ungehalten. »Das ergibt keinen Sinn! Man sieht einfach, was da ist   – weil es da ist!«
    »Ich habe bereits Dinge für mich sichtbar gemacht, die ich früher nie berührt hatte. Es dauert nur länger. Es ist so, als müsste ich sie in meinem Geist zusammenbauen, während ich sie fühle. Die Dinge hingegen, die ich schon einmal angefasst habe, die sind plötzlich einfach da. Sie erscheinen vor meinem Auge, sobald meine Finger über die Umrisse fahren.«
    Meris schwieg. Sie kauften Lebensmittel und gingen heimwärts. Unterwegs erschrak Dauras, als ein Bettler neben ihnen die Hand ausstreckte und um ein Almosen bat. Der Mann war für ihn unsichtbar gewesen, er hätte ein Fleck an der Wand sein können, aber die Welt war voll von solchen Flecken, und Dauras schenkte ihnen gar keine Beachtung mehr. Erst als der Mann sich bewegte, hatte Dauras ihn bemerkt.
    Wie sollte er jemals Meris’ Erwartungen erfüllen? Wie sollte er je wieder kämpfen, wenn er an Menschen vorübergehen konnte, ohne sie auch nur wahrzunehmen? An Menschen, die unmittelbar vor ihm standen?
    Er tastete mit seinem Stock über den Boden. Wenn er die Augen schloss, verlor er die Farben, jedoch kaum etwas von dem, was wirklich wichtig war. Hindernisse fand er mit dem Stock leichter als mit dem Auge.
    »Ich hätte gern eines von diesen Schmuckstücken für dich ausgesucht«, sagte er zu Meris. »Aber ich kann dir schlecht etwas schenken. Du bist ohnehin diejenige, die es bezahlen

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