Das Schwert des Sehers
Nase.
»Kartan!« Die Frau ließ die Waffe fallen und kam ihrem Gefährten zu Hilfe. »Was ist das für eine Teufelei? Was habt ihr mit Kartan gemacht?«
Hastig schob sie ihm die Kleidung über den Oberkörper hoch. Der Geruch in der Luft wurde beißend.
»Ich habe hier noch ein paar Flaschen Säure!« Valdar beugte sich aus dem Fenster. »Gebt auf, ihr Räuber, bevor ich euch damit allen die Haut gerbe und das Fleisch zart koche.«
»Räuber?«, erwiderte die Frau. »Ich bin Nessa von Erlingen und berufe mich auf das Fehderecht. Von einem Ritter wie Euch, Arnulfssohn …« Sie sah auf Lacan herab. »… hätte ich allerdings nichts anderes erwarten sollen, als dass Ihr auf Hexenwerk zurückgreift, anstatt ehrbar zu kämpfen.«
Lacan seufzte. »Bponur hilf«, murmelte er.
»Eure Nachbarn, Herr?« Sobrun schaute ihn an. »Ich habe das Gefühl, Ihr habt die Verhältnisse in Eurer Heimat gar zu rosig dargestellt.«
Sie entwaffneten die Angreifer und kümmerten sich um den Verletzten. Sie zogen ihn aus und spülten die Säure mit Wasser von der Haut. Die Schulter des Mannes sah flammend rot aus, so als wäre sie verbrannt. Sie legten ihn auf eine Bank in der Küche und schickten nach einem Heiler aus dem Dorf.
Als sie so weit waren, ging im Osten schon die Sonne auf.
»Fräulein von Erlingen«, sagte Lacan. »Wenn Ihr mir bitte in den Rittersaal folgen wollt. Wir sollten die Angelegenheit wie gute Nachbarn regeln.«
Er sah seine Nachbarin an. Sie mochte ungefähr so alt seinwie er, mit feinen langen Haaren, deren Blond einen Stich ins Rötliche zeigte. Sie trug eine dunkle Tunika über dem leichten Kettenhemd, und Lacan hatte ihr das Schwert gelassen. Es war ein harter Schritt für einen Ritter, seine Waffe aufzugeben, und Lacan hoffte immer noch auf eine einvernehmliche Lösung.
Nessa von Erlingen blickte auf Sobrun und auf Valdar, die sich hinter Lacan bereithielten. »Ich allein mit drei Schurken? Ich verlange eine Ehrenwache!«
Sobrun murmelte etwas von »Schurken« und »Überfall«, und Lacan sah ihn strafend an. »Gehört das zu den Gebräuchen hier in der Gegend?«, fragte er Nessa. »Mit Beleidigungen um sich zu werfen? Ich vermisse die Ehre, von der Ihr so gern redet.«
»Die vermisse ich auch«, erwiderte Nessa. »In diesem Haus.«
»Ich glaube nicht«, sagte Lacan, »dass Ihr mir irgendwas vorwerfen könnt, was meine Ehre schmälert.«
»Was ist mit dem Hexenmeister, den Ihr hier als Verwalter einsetzt?«, fragte Nessa. »Außerdem hat mir Otilde eine Menge über Eure Sippe erzählt. Ich kannte noch die Familie, die vorher hier lebte – bevor Euer Vater sie von diesem Land vertrieb und das Gut Eurer Mutter schenkte!«
»Das ist fünfzehn Jahre her!«, rief Lacan. »Und wer ist Otilde?«
Valdar meldete sich zu Wort. »Ich möchte vorschlagen, dass wir das Gespräch an einem geschützteren Ort fortsetzen. Gerade wenn es so hitzig wird.«
Sie einigten sich darauf, dass eine Magd Nessa begleiten sollte. Dann traten sie in den großen Saal des Rittergutes. Er war selten in Gebrauch und kalt und unbeheizt. Lacan wies die Knechte an, den Kamin anzuheizen, doch es würde Stunden dauern, bis man die Wärme in dem Raum spürte. Sieschoben die Stühle zusammen und setzten sich alle fünf dicht vor die Flammen.
»Was für eine Fehde soll das sein?«, fragte Lacan. Er sah Valdar an.
Der Verwalter hob die Hände. »Ich weiß von nichts. Es war all die Jahre friedlich hier, während Ihr fort wart.«
»Großartig«, murrte Lacan. »Es liegt also an mir?« Er wandte sich zu Nessa. »Ihr könnt jedenfalls kaum eine Fehde anfangen, weil Ihr mein Recht auf dieses Landgut bestreitet. Die Kämpfe darum liegen lange zurück, und sie wurden nach Recht und Ehre abgeschlossen. Der Kaiser hat meinen Vater zum Herrn über dieses Land ernannt, und wenn Familien ihren Besitz verloren haben, dann deswegen, weil sie sich gegen ihn erhoben haben.«
»Hat der Kaiser seinem Kanzler auch die Stadt Meerbergen unterstellt?«, wandte Nessa spitz ein. »Die Stadt jedenfalls hat den Anspruch Eures Vaters zurückgewiesen, da ihm das rechte Blut dafür fehlt. Viele Ritter hier im Umland teilen diese Ansicht.«
»Ihr wisst genau, wie der alte Kaiser war. Er hat einen Titel verliehen und so viel Land und Einfluss dazu, wie mein Vater sich aus eigener Kraft nehmen konnte. Für die Stadt reichte seine Kraft nicht aus, obwohl er es lange versucht hat.«
»Und jetzt versucht er es wieder, hat Otilde gesagt. Nur dass er dieses
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