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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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darüber zu lernen gibt, rief uns die Vorsteherin der Schule zu sich. Sie brachte uns mit den Schülern des älteren Jahrgangs zusammen und befahl uns, dass wir uns von ihnen schlagen lassen. Ohne Gegenwehr. Also, was sollte ich tun?«
    Dauras blickte sie verständnislos an. »Du musstest dich schlagen lassen, nehme ich an? Wenn ich euren Dienst richtig verstanden habe, müsst ihr dem Befehl eines Vorgesetzten gehorchen.«
    »Aber wir unterstanden immer noch dem Befehl, wie ein Ritter zu handeln. Und ein Ritter darf einen Schlag nicht hinnehmen, außer vielleicht von einem Grafen.«
    »Und was hast du getan?«, fragte Dauras.
    »Ich habe mich schlagen lassen«, sagte Meris. »Es gab gar keine Möglichkeit, das zu umgehen. Wer sich von den Älteren nicht schlagen ließ, der bekam Schläge, weil er den Befehl verweigert hat. Wer sich schlagen ließ, bekam danach noch mehr Schläge, weil er den anderen Befehl missachtet hat.
    Die Vorsteherin erklärte uns, dass es bei dieser Lektion nicht darum ging, die richtige Entscheidung zu treffen. Es ging darum, vor einer Situation zu stehen, bei der es gar keine richtige Entscheidung gibt   – und dennoch zu handeln!
    Bei unseren späteren Aufträgen, so hieß es, würden wir oft in so eine Lage geraten. Wir sollten stark und hart genug sein, um trotzdem eine Entscheidung zu treffen. Um das zu tun, was uns als das Beste erscheint oder zumindest als das Bestmögliche   – und die Prügel dafür einfach hinzunehmen, ohne uns davon einschüchtern oder abhalten zu lassen.
    Das war es, was ich gelernt habe. Und es gab viele Lektionen dieser Art. Viele Schläge. Aber man nimmt Schmerzen und Verluste hin und geht weiter und erfüllt seinen Auftrag   – oder versucht es jedenfalls. Der Bote ist die Hand des Kaisers, und seine Tat ist wichtiger als seine Person.«
    Dauras dachte nach und antwortete vorsichtig: »Ich glaube, bei uns im Tempel gingen eine Menge Lektionen in dieselbe Richtung.« Er lächelte. »Wir haben gelernt, dass der Leib dem Willen folgt und dass wir Schmerzen überwinden müssen wie jede andere Schwäche des Leibes. Vielleicht war es also nicht nur schlecht, was dir widerfahren ist. Vielleicht war es eine nützliche Lektion.«
    »Ich streite nicht ab, dass es nützlich ist«, sagte Meris. »Wir waren seinerzeit sogar stolz darauf, was wir aushalten konnten. Wie hart wir waren. Weil wir weitermachten und nicht zu jenen gehörten, die zerbrachen und ausgesondert wurden. Immerhin waren wir eine auserwählte Elite   – wir Waisen und ausgesetzten Kinder, die für den geheimen Botendienst des Reiches als Sondergesandte ausgebildet wurden. Wir hungerten und hatten Schmerzen und weinten mitunter, aber wir waren auch stolz. Wie ihr Mönche vermutlich ebenfalls.
    Trotzdem. Als ich zum ersten Mal meine Tochter in den Armen hielt, hatte ich ein anderes Leben für sie im Sinn. Ich wollte nicht, dass sie stolz ist, ich wollte, dass sie glücklich ist.«
    »Du bist mir aufgefallen.« Dauras brachte die Worte nur mühsam heraus. »Bei unserer ersten Begegnung schon. Und dann auf der Reise   … Mir hat gefallen, was aus dir geworden ist. Ich habe nicht das Gefühl, dass du durch deine Ausbildung etwas verloren hast. Vielleicht hat es dich mir ein wenig ähnlicher gemacht. Jedenfalls dem, was ich vor vier Monaten noch gewesen bin.«
    Meris lachte auf. »Bponur bewahre! Ich hoffe, das war nicht als Trost gemeint.
    Genug von den alten Geschichten. Es muss dir nicht leid tun, dass du mir auf der Tasche liegst. Mir tut es auch nicht leid um das Geld. Ich hatte es für meine Tochter zurückgelegt, und jetzt verwende ich es, um meine Tochter zu retten.
    Möglicherweise trauere ich ein wenig um das, was ich eigentlich damit erkaufen wollte. Doch das war der Sinn unserer Ausbildung, nicht wahr? Wir sind hart genug, wir beide. Wir verlieren etwas und machen weiter und tun, was getan werden muss.«

G ut Galdingen bei Meerbergen, am selben Tage
    Ritter Lacan schlief unruhig in dieser Nacht. Ein schwerer Wind blies von der See her und ließ die Fensterläden klappern. Lacan glaubte, Stimmen darin zu hören, das Heulen der körperlosen Geister in den Tälern der Schwarzen Berge und das Fauchen der Bestien.
    Er fuhr hoch. Ein Tuten wie von einem Horn! Das Horn vom Turm?
    Schlaftrunken griff er nach dem Schwert. Er sprang aus dem Bett und stolperte durch das Zimmer, bevor er sich daran erinnerte, wo er war.
    Lacan trat auf den Flur. Das ganze Gesinde war auf den Beinen. Sobrun kam ihm

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