Das Schwert des Sehers
Mal die Kräfte des Reiches für seine Zwecke einspannt.«
»Also gut, wer ist Otilde?«
»Otilde von Rabenstein. Eine Prälatin aus der Hauptstadt und eine entfernte Verwandte von mir. Sie hat auf meinem Hof Zuflucht gesucht, so wie viele andere Flüchtlinge aus Horome, die Euer Vater von dort vertrieben hat.«
»Ich bin nicht mein Vater«, erwiderte Lacan.
»Dasselbe Blut«, entgegnete Nessa. »Sagt Otilde. Man darfkeinem aus der Familie trauen. Arnulf ist nicht gottesfürchtig, und sein Sohn hat auch einen Zauberer an seiner Seite.«
»Valdar ist ein weiser Mann«, sagte Lacan. »Er stand meiner Mutter zur Seite, als es ihr schlecht ging, und ich habe ihn nie anders als treu und gottesfürchtig erlebt.«
»Dennoch bleibt er ein Zauberer«, beharrte Nessa.
»Sogar in der Kirche wird Magie gelehrt«, wandte Valdar ein. »Ihr solltet Eure Prälatin fragen, wie viel sie selbst von dieser Kunst versteht. Ich habe niemals mehr Gebrauch von der Magie gemacht, als die Kirche zulassen würde.«
»Ja«, erwiderte Nessa bitter. »Das habe ich gemerkt. Ihr habt Euren Dämon heulen lassen und den ganzen Hof damit aufgeweckt. Und meinen Knecht habt Ihr mit Euren Zauberkugeln verbrannt.«
»Der ›Dämon‹ war nichts weiter als zwei Blasebälge in einem Kasten mit einer Kurbel. Je schneller man daran dreht, umso mehr Luft pumpen sie durch eine Trompete, die ich damit verbunden habe. Es ist ein Apparat und kein Hexenwerk. Und diese Zauberkugel, die ich angeblich geworfen habe, war nichts anderes als eine Flasche mit Säure.«
Valdar erhob sich. »Und jetzt werde ich ein wenig Wein auftragen«, sagte er und verließ den Raum.
Lacan schüttelte den Kopf. »Wir wollten über diese ›Fehde‹ sprechen. Warum habt Ihr meinen Hof überfallen?«
»Unsere Vorräte reichen nicht für den Winter«, gab Nessa zu. »Und Ihr seid daran schuld.«
»Ich?«
»Euer Vater. Wisst Ihr, wie viele Menschen die Hauptstadt verlassen haben, seit er Kanzler ist? Wir haben so viele von ihnen aufgenommen, wie wir konnten. Aber Ihr sitzt auf Eurer fetten Ernte und teilt mit niemandem.«
»Ich weiß nichts von Flüchtlingen«, sagte Lacan. »Und mich hat nie jemand um Hilfe gebeten.«
»Kein Wunder«, stellte Nessa fest. »Die Menschen, die vor Eurem Vater fliehen, werden kaum Zuflucht bei dessen Sohn suchen. Natürlich meiden sie Euer Land.«
»Wie könnt Ihr mir das vorwerfen? Ihr hättet einfach fragen können!«
»Bei dem Handlanger des Räubers nachfragen, ob er denen hilft, die sein Herr ausgeplündert hat?« Sie schnaubte abfällig. »Ihr lagert in Euren Scheuern die Vorräte für die Armee Eures Vaters, während seine Opfer das Land ringsum ausbluten lassen.«
»Wir lagern unsere Vorräte für uns«, stellte Lacan fest. »Ich kann Euch versichern, wenn mein Vater mit seiner Armee kommt und uns die Lager ausräumen will, werde ich darüber genauso ungehalten sein wie über Euren Raubzug.«
»Er ist Euer Vater und Euer Graf. Wollt Ihr behaupten, dass Ihr Euch gegen ihn stellt, wenn er hier auftaucht?«
Lacan senkte den Kopf. »Er ist mein Herr und mein Graf«, räumte er ein. »Wenn er mir einen Befehl erteilt, werde ich ihm folgen müssen. Ihr habt über meine Ehre gesprochen – und wenn ich meine Ehre behalten will, kann ich nicht anders handeln.«
»Wenn Ihr Frieden mit Euren Nachbarn wollt, werdet Ihr Euch entscheiden müssen«, sagte Nessa kühl, »ob Ihr Eurem Vater folgt – oder denen, die sich gegen ihn stellen.«
Ein unbehagliches Schweigen senkte sich über den Saal. Valdar kehrte zurück. Er trug ein Tablett mit Bechern und einer Karaffe in der Rechten. Er stellte den Wein auf dem Tisch ab, schenkte ein und verteilte die Becher an die Anwesenden.
»Fräulein von Erlingen …« Lacan hob den Becher in ihre Richtung. »Was geschieht, wenn mein Vater kommt, ist eine Frage, die wir auf jenen Tag verschieben sollten. Bis es so weit ist, will ich keine Fehde führen. Ich werde Euch einen gerechten Anteil unserer Vorräte überlassen. Wenn andere Ritter hier für Flüchtlinge aufkommen müssen, will ich ebenfalls meinen Beitrag leisten.«
Nessa sah ihn misstrauisch an. »Was ist das für eine Finte?«, fragte sie.
»Nur gutnachbarschaftliche Hilfe.« Lacan lächelte gequält. »Valdar, sieh zu, was wir entbehren können, und belade der Dame ihren Wagen. Ihr habt recht, Fräulein: Wenn mein Vater kommt und unseren Hof mit Beschlag belegt, kann ich ihm die Unterstützung kaum verweigern. Was hätte ich dann von
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