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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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glänzenden Kuppel des großen Tempels in der Mitte der Insel. Der Garten war zu jeder Jahreszeit dicht bewachsen mit immergrünen Büschen und kleinen Bäumen, und so sah man nur selten seine Grenzen.
    Der Garten der Dame   – ein verlassener Ort. Aruda hatte, wenn sie dort war, niemals jemand anderen angetroffen als die Hüterin des Ortes. Die aber hatte immer Zeit gefunden, sich zu ihr zu setzen und mit ihr zu plaudern, schon damals, da sie als verirrtes Kind zum ersten Mal hierhergekommen war. Die Hüterin des Gartens war, wenn Aruda zurückdachte, in all den Jahren ihre einzige Vertraute gewesen, fast eine Freundin, trotz des Unterschieds im Alter. Sie war für Aruda mitunter fast wie eine Mutter.
    »Ich nehme an«, sagte Aruda, »Sie suchen schon nach mir. Sie werden außer sich sein.«
    Sie saß auf der steinernen Bank in der Mitte des Gartens, wo die wenigen Wege sich kreuzten und einen Platz bildeten. Die Wegsteine waren alt und verwittert, die Säulen zwischen den Bäumen waren schief und von Ranken überwuchert. Alt und verwittert waren auch die kleinen Statuen, die auf eingesunkenen Sockeln standen und bei denen kaum noch auszumachen war, was sie darstellen sollten, genauso wie das einsame Monument, das tief im Gestrüpp verborgen lag wie ein vergessener Tempel, mit Inschriften, die nicht mehr zu entziffern waren. Auch der Brunnen neben der Bank, grau und narbig und von Wasser, Wind und Kalk zu einem bizarren Gebilde modelliert, mutete an wie aus einer anderen Zeit.
    Heute gluckste das Wasser leise über den Stein der Mittelsäule, und Aruda fühlte sich getröstet von dem Klang.
    Die Hüterin saß neben ihr, eine schlanke Gestalt in einem lindgrünen Kleid, mit einem blassen Gesicht, dessen Alter schwer zu schätzen war, auch wenn es glatt und makellos wirkte. Sie hatte sich einen Kranz von Efeu auf die schwarzen Haare gesetzt. Die grünen Ranken fielen ihr an den Schläfen hinab wie Locken.
    Sie lachte. »Lass sie nur suchen«, meinte sie. »Du bist die Kaiserin. Muss eine Dame sich nicht rar machen, wenn sie wichtig ist? So etwas habe ich einmal über das Leben bei Hofe gelernt.«
    Aruda stimmte in das Lachen ein, bevor sie wieder ernst wurde. »Noch bin ich nicht die Kaiserin. Ich soll heute erst gekrönt werden, und ich weiß nicht, ob es sich für eine Dame schickt, dabei zu spät zu kommen.
    Ich weiß auch nicht, was dann passieren wird. Da sind all diese Hofräte, die mir sagen, was ich tun soll. Ich glaubenicht, dass sie damit aufhören werden, wenn ich auf dem Thron sitze.«
    »Ernennt nicht der Kaiser seine Räte?«, gab die Hüterin des Gartens zu bedenken.
    »Vermutlich.« Aruda schaute auf ihre Fußspitzen, die über den grasbewachsenen Fugen des Pflasters wippten. Dann sah sie die Hüterin an. »Ich wünschte, du könntest mit mir kommen. Wenigstens zu der Krönung.«
    Die Hüterin lachte. »Ich glaube, die Gesellschaft bei Hofe wäre wenig erfreut, wenn ich mich unter sie mische. Ich habe genug gesehen. Ich bleibe lieber in meinem Garten, mein Kind. Aber du solltest dich nicht so leicht einschüchtern lassen. Es ist nicht gut, wenn ein Mensch so alleine bleibt.«
    »Was soll ich tun?«, fragte Aruda.
    »Triff deine eigenen Entscheidungen. Wenn du bedrängt wirst, dann such dir Verbündete. Ich weiß nicht, wem du vertrauen kannst, das musst du erst herausfinden.«
    »Das sagst du so leicht«, erwiderte Aruda unglücklich. »Du bleibst einfach hier. Ich hätte auch gern einen Garten, in dem ich mich verstecken kann.«
    »Du hast diesen Garten. Du bist jederzeit willkommen.« Die Hüterin beugte sich ihr zu. Sie hielt eine große Blüte mit silbrigen Fäden in der Hand und steckte sie Aruda ins Haar. Das war eine weitere Besonderheit dieses Ortes, die Aruda so sehr schätzte: Der Garten schien sein eigenes Klima zu haben, vielleicht durch die Wärme der Gebäude darunter. Selbst im Winter fand man hier mitunter Flecken mit frischen Blumen und Pflanzen, die nirgendwo sonst wuchsen.
    »Auch ich habe nicht mein ganzes Leben in diesem Garten verbracht«, sagte die Hüterin. »Und ich werde immer bei dir sein, wenn du mich brauchst. Du bist wie ein Kind für mich. Ich hatte niemals eigene.
    Ihr wart alle wie meine Kinder für mich«, sagte sie.
    »Ich würde mich am liebsten verstecken«, sagte Aruda. »Doch die Botin Meris meinte, man könne nicht weglaufen vor dem, was man ist.«
    Die Hüterin seufzte. Dann nahm sie Arudas Hände und lächelte. »Am Ende wohl nicht. Aber hätte man nicht

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