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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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Schwert. Dann erkannte er die Stimme und verstand die Worte. Es war Sobrun, der ihn geweckt hatte. Lacan hatte den Mann während ihres gemeinsamen Dienstes schätzen gelernt   – auf dem Sternenstein, der letzten Grenzfeste des Reiches über dem Pass nach Esgarth, wo die Ritterorden den Zugang zu den Ruinen der verfluchten Stadt bewachten.
    Sobrun war ein erfahrener Veteran in den Vierzigern. Und, was noch wichtiger war: Er war nicht bloß ein Söldner, sondern ein gewissenhafter Kampfgefährte mit einem Gefühl für Ehre.
    Lacan setzte sich auf. Der Nebel stand so dicht über dem Sumpfland, dass es aussah, als wollten die Schwaden sich zu Gestalten formen. Nässe überzog die Kleidung, die Tropfen glitzerten in dem schwachen rötlichen Licht, das von ihrem bis auf die Glut heruntergebrannten Lagerfeuer ausging.
    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und es war eisig kalt   – Geisterstunde. Die letzte lange Wache vor dem Morgengrauen.
    »Was ist, Sobrun?«, flüsterte er.
    »Ich habe einen Schrei gehört«, sagte der Söldner. »Einen Hilferuf. Es klang wie von einer Frau.«
    »Hier   …«, murmelte Lacan.
    Sie lagerten im Schatten der Schwarzen Berge. Lacan glaubte, er könne immer noch den Schnee in der Luft riechen   – das Eis der verschneiten Höhen, das sie vor drei Tagenerst hinter sich gelassen hatten. In den Bergen war die Kälte der Nacht schneidend gewesen. Schon zu dieser Jahreszeit konnte der Frost zwischen den Gipfeln tödlich sein   – und doch war das die geringste Gefahr, mit der die Ritter dort zu kämpfen hatten auf ihrem bewaffneten Pilgerzug an der Grenze.
    Lacan erschauerte bei der Erinnerung.
    All das blieb hinter ihm zurück, und er war auf dem Weg nach Hause. Dennoch, die Berge waren nah, und wer weiß, was für Schrecken in dieses Land einbrachen?
    »Das ist kein Ort, wo man Rufen im Nebel folgen sollte«, sagte er.
    Lacan erhob sich. Er war ein hochgewachsener und kräftiger Mann, ein Ritter mit langem blonden Haar, wie aus einer alten Rittergeschichte entsprungen. Er liebte diese Vergleiche nicht. Die alten Geschichten enthielten viele Dinge, die, wenn sie einem in der Wirklichkeit begegneten, nicht so romantisch waren.
    Er streifte die Decke ab und lauschte in die Dunkelheit. Der faulige Geruch, durch den sie am gestrigen Tag gezogen waren, war durch die Kälte zu einem schwachen Moder abgeschwächt worden. Da waren Geräusche im Nebel, ein feines Knistern und Glucksen. Aber keine Schreie.
    »Was ist mit den Herren von Grassen und an Gebran?«, fragte er.
    »Ich wollte erst einmal Eure Meinung hören.« Sobrun sah verlegen zu Boden. »Ihr seid mir bisher als der   … hm, Nachdenklichste unter den Herrschaften erschienen.«
    »Von Grassen sollte wach sein«, sagte Lacan. »Er hatte mit dir gemeinsam Wache.«
    »Hm.« Sobrun druckste herum. »Wer bin ich, einen Ritter zu ermahnen? Ich dachte mir, dass ich aufmerksam für zwei sein muss.«
    »Manchmal«, sagte Lacan vorsichtig, »hört man Dinge bei Nacht, im Nebel, wenn man allein ist   …«
    Und dann hörte er es auch. Einen Schrei, der verzweifelt klang. Ein Hilferuf, ohne Zweifel. Und die Stimme einer Frau. Sie konnte nicht weit entfernt sein, denn Lacan wusste aus Erfahrung, wie sehr der Nebel den Schall einer Stimme verschluckte.
    Lacan fluchte in sich hinein.
    »Das ist kein Land, wo man eine menschliche Seele erwartet«, sagte Sobrun. »Aber es ist ein Land, wo eine menschliche Seele leicht in Not geraten kann.«
    »Ich weiß«, sagte Lacan. Er ging durch das Lager und stieß die Männer an. »Auf, auf, von Grassen. Ritter. Männer. Es gibt Arbeit für die Streiter Bponurs.«
    Dann begab er sich zu seinem eigenen Lager und streifte das Kettenhemd über. Sobrun half ihm dabei. Nach und nach traten die anderen Männer zu ihnen.
    »Was ist? Was ist?«, rief Ritter an Gebran. Er gehörte zu irgendeinem dieser heiligen Orden aus Barrat, deren Bezeichnungen sich Lacan allesamt nicht merken konnte. Auf dem Sternenstein hatte er viele gehört, und sie klangen alle ganz ähnlich. Der Ritter aus dem Osten mit dem allzeit sauber getrimmten schwarzen Bart hielt das Schwert in der Hand. Er trug einen langen Nachtrock aus warmer Wolle und hatte eine Nachtmütze auf dem Kopf und eigene Nachtsocken an den Füßen, allesamt mit langen Zipfeln daran.
    Lacan konnte darüber nicht mehr lachen. Nicht, nachdem er mitangesehen hatte, wie der geckenhaft wirkende Gotteskrieger in einem Lager der Pukha drei kleine Kinder an den Haaren aus einer

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