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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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  – die Linien im Gesicht eines alten Menschen, der Unterschied zwischen Gold und Blei. All das sind Dinge, über die ich die anderen reden höre. Aber was für eine Bedeutung hat das in einem Kampf?
    Dafür erkenne ich die wirkliche Welt. Den Schatten, den ein jedes Ding in den Äther wirft. Ich sehe mit den Augen meines Geistes, und die taugen mehr als jene des Fleisches. Sie sehen in der Finsternis genauso gut wie am Tage, sie sehen nach hinten genauso gut wie nach vorn. Ich sehe den Schwertstreich, der auf meinen Rücken zielt. Ich sehe den Mann hinter meinem Gegner so gut, als stünde er vor mir. Ich sehe die Dinge, die hinter Türen und Wänden auf mich lauern, wenn sie nur bedeutsam genug sind, um einen schweren Schatten zu werfen. Ich sehe den Herzschlag meines Gegenübers genauso wie die Münzen in seiner geschlossenen Börse.
    Nein, Mädchen. Ich bin nicht blind. Ich bin ein Sehender in einer Welt von Blinden.«
    Aruda zog ihr Kleid enger um sich, und Dauras bemerkte, dass ihr wieder das Blut ins Gesicht schoss.
    Sie räusperte sich. »Was ich erwartet habe   …« Sie stockte, ehe sie weitersprach: »Ich habe gehofft, du würdest mir helfen. Der Wirt schien dich für einen mächtigen Kämpfer zuhalten, wie die umherziehenden Helden in den alten Sagen. Ich dachte, du würdest einen schlauen Plan ersinnen und mich unbemerkt aus dem Wagen befreien, wenn wir weiterreisen, so wie es die edlen Gesetzlosen oder die Schelme in den Dichtungen des Volkes tun. Du hättest herbeieilen, mich auf dein Pferd heben und davonreiten können, wie die Ritter in der Legende, oder mit Gottes Hilfe zwischen meine Wachen treten und mich in die Freiheit führen, wie die Heiligen Bponurs in den Liedern.
    Ich habe gehofft, du könntest etwas Großartiges tun, oder zumindest etwas Wohlüberlegtes. Ich habe nicht erwartet, dass du noch im Gasthaus auf alle losgehst und sie kurzerhand erschlägst.«
    »Nun«, sagte Dauras. »Es kommt nicht immer so, wie man es erwartet.«
    Sie saßen da und schwiegen neben den prasselnden Flammen. Das Feuer aus dünnem Geäst brannte allzu schnell herunter.
    »Wenn ich ehrlich bin«, fügte Aruda hinzu, »habe ich gar nichts erwartet. Ich habe einfach nur diese Botschaft geschrieben, weil ich verzweifelt war und auf ein Wunder hoffte.«
    »Du hast entschieden zu viele Legenden gehört, Kindchen   … Aber was soll’s, es ist nun einmal geschehen. Lass uns überlegen, wie wir das Beste daraus machen.«
    Aruda nickte schweigend.
    »Also gut«, fuhr Dauras fort. »Wie wäre es damit: Ich bringe dich zu deinem Bräutigam, und wir klären das Missverständnis   …«
    Aruda schüttelte den Kopf. »Der Herr von Rottengrund war seine rechte Hand und sein Vertrauter.«
    Dauras blickte auf. »Der Herr von Rottengrund?«
    »Das war der alte Ritter, den du erschlagen hast. Der Anführer der Reisegesellschaft. Dieser Graf   … dieser Kerl , derim Norden auf mich wartet, würde dir das niemals verzeihen. Da können wir uns unmöglich blicken lassen.«
    Dauras hätte schwören mögen, dass dieses freche Gör dabei triumphierend und selbstzufrieden klang. »Was würdest du uns dann raten«, fuhr er sie an. »Wie sollen wir aus diesem Sumpf wieder herauskommen, in den du uns hineingeritten hast?«
    »Ich dachte mir   … wir könnten in den Süden gehen   … oder weit in den Osten, wo mein Vater mich nicht findet. Dort kann ich mir einen richtigen Bräutigam suchen. Einen sanftmütigen Grafen oder einen jungen Ritter, der sich um mich sorgt. Ich habe lange darauf gewartet, dass jemand zu mir kommt und mich   … befreit. So erzählen es die alten Legenden. Aber vielleicht muss ich selbst aufbrechen, um den Prinzen zu finden, den Bponur für mich bestimmt hat. Womöglich hat das Schicksal dich zu mir geführt, als mein Begleiter bei dieser Queste.«
    Bei allen Göttern des Schwertes.
    Dauras wusste nicht, ob er froh sein sollte oder gekränkt, weil er selbst offenbar nicht als »strahlender Ritter« für sie infrage kam. Dann überlegte er. Das Mädchen mochte naiv sein, und doch verrieten ihre Worte ihm einiges. Ihre Familie musste bedeutend sein, so viel war klar. Ihm war zuvor schon aufgefallen, wie die Ritter in ihrem Gefolge mit ihr umgegangen waren und dass sie ihn ganz gedankenlos duzte. Jetzt jonglierte sie spielerisch mit Grafen und Prinzen als Bräutigam, und ihn selbst plante sie beiläufig als Knecht mit ein, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie ihn damit kränkte, und ohne jede

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