Das Schwert des Sehers
Palast und bereite mich auf den Abend vor – ich will ja nicht zu spät kommen zu meiner eigenen Feier. Von Crunbach, übernehmen Sie hier.«
»Und einen feinen Grund zum Feiern habe ich dir heute beschert, nicht wahr?«, zischte sein Dämon ihm zu, als er im Treppenhaus war.
»In der Tat«, sagte der Kanzler. »Wenn der Hunger das Volk zum Äußersten treibt, wird es die Kornspeicher am Fischmarkt als Erstes stürmen. Das Trollkorn soll dort meine vorderste Verteidigung sein. Und sobald der Pöbel sich daran gütlich tut, wird endlich Ruhe herrschen in der Stadt. Horome wird die erste Provinz sein, die ich zurückgewinne und dem Thron als Morgengabe vor die Füße lege.«
»Endlich«, zischelte der Dämon. »Ich erinnere mich an diese Zeit. Die alte, die großartige Zeit, als der Kaiser über eine Stadt herrschte, die ruhig und wohlgeordnet war, statt dass er von einem Heer von Bettlern in seinem Palast und auf seiner Insel belagert wurde.«
»Ah, was für eine Zeit«, sagte der Kanzler. »Heute ist die Stadt voll von den Hungerleidern aus dem Umland, die ihre Herren verlassen haben und hier unterkriechen und die sich vermehren wie die Ratten. Tausend mal tausend Einwohner soll Horome haben – war das nicht die Zahl, die derMetropolit geschätzt hat? Das ist keine Stadt, das ist ein Ameisenhaufen, ein Berg von Unrat, der von Ungeziefer wimmelt.
Und jeder gute Hausherr schaut darauf, dass er das Ungeziefer vergiftet, bevor er die Lager füllt.«
Meris trieb den Pagen in die Enge in einem fensterlosen Flur, der von der kleinen Küche des inneren Palastes direkt zu dem Speisesaal führte, in dem der alte Kaiser seine Bankette abgehalten hatte.
»Du willst mir also erzählen«, fragte sie und stützte einen Arm dicht neben dem Jungen gegen die Mauer, »dass so ziemlich jeder Page im Palast am 3. Tag nach dem Mittag des Oktober dem Kaiser Speisen in sein Zimmer gebracht hat?«
»Nein! Ich … weiß nicht«, stammelte der Page. »Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Der Kaiser hat so viele Besucher empfangen, und für jeden wurde irgendetwas aufgetragen.«
»Von welchen Speisen hat der Kaiser selbst gegessen?«
»Einmal vom weißen Brot und vom Lachs, solange ich dabei war«, sagte der Junge. »Und Wein hat er getrunken, aber nur verdünnt. Ich war allerdings nicht lange da.«
»Wer war dann da? Wer hat dem Kaiser aufgewartet?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte der Page. »Niemand, glaube ich. Kaiser Aredrel hat immer wieder Pagen auf Botengang geschickt, und andere sind dafür gekommen.«
»Und wer hat den Kaiser besucht?«
»Der gesamte Rat«, sagte der Page. »Der Kaiser hat sie einzeln zu sich bestellt. Mitunter saßen sie auch zu dritt oder zu viert beisammen.«
»Und die Herren haben dasselbe gegessen wie der Kaiser?«
Der Page zuckte die Achseln. »Sie saßen nicht zum Essen beisammen. Der Kaiser hatte keine Tafel mehr abgehalten seit … Ich weiß nicht. Mehr als einen Zehnttag lang. Das war ungewöhnlich, denn er hat sich zuvor fast jeden Abend mit seinen … mit den höchsten Herren getroffen, und sie haben getafelt. Und dann nicht mehr.
Dann hat er nur noch diejenigen empfangen, mit denen er über ihre Amtsgeschäfte reden wollte. Zwischendurch wurden Kleinigkeiten aufgetragen. Kaiser Aredrel hat auch andere Herren besucht. Galdon, den Kämmerer, und den Herrn von Reinenbach. Sie haben viel miteinander geredet, aber sie haben die Pagen dann hinausgeschickt.«
Der Knabe zögerte. Ängstlich sah er sich um, und als Meris ihm aufmunternd zunickte, senkte er die Stimme und fügte hinzu: »Der Kaiser meinte einige Male, er hätte in der Vergangenheit seine Pflichten vernachlässigt, und das wollte er nachholen. Das waren seine Worte, nicht meine. Er wollte sein Reich regieren, und die Gelage mit den Hauptleuten und den Rittern, sie widerten ihn mit einem Mal an. Das habe ich ihn auch sagen hören.
Kann es sein, dass er da schon krank war? Caris meinte, sie hätte im Hospital Fälle erlebt, wo Menschen vom Schlag Bponurs getroffen wurden. Die meisten können daraufhin nicht mehr reden oder nicht mehr gehen. Aber manche verändern sich auch, als wäre ein fremder Geist in sie gefahren. Und dann sterben sie.«
»Caris?«, fragte Meris. »Wer ist Caris?«
»Sie will Priesterin werden«, sagte der Page. »Sie gehört nicht zu uns Pagen, sondern dient im Hospital. Dennoch ist sie oft im Palast, und wir kennen sie gut.
Ich musste oft an ihre Worte denken. Vor allem als der Herr
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